Partizipation

Partizipation heißt Verantwortung

Die Grundlagen für Partizipation liegen im Rechtsstaat

Das P-Wort ist in aller Munde. Seit den 2010er Jahren wird in allen Bereichen von Politik, Kultur und Gesellschaft über die besten Formate, die wichtigsten Inhalte und die erfolgreichste Umsetzung von Beteiligung und Teilhabe diskutiert. Ohne ein hohes Maß an Partizipation geht es nicht mehr. Und das ist auch gut so.

Der Begriff der Partizipation ist mittlerweile allgegenwärtig und wird überwiegend in dem Verständnis verwendet, dass Menschen sich aktiv an Entscheidungsprozessen beteiligen, die ihr eigenes Leben beeinflussen. Im politischen Raum sind Beispiele hierfür Bürger:innenbeiräte oder öffentliche Meinungsabfragen zu Bauprojekten. Ein anderes Beispiel ist Mitbestimmung am Arbeitsplatz. Partizipation kann auf ganz unterschiedlichen Ebenen stattfinden, von der Transparentmachung von Entscheidungsgrundlagen bis hin zu verschiedenen Formen der Abtretung dieser Kompetenzen.  Was bedeutet das in einem Rechtsstaat?

Rechtsstaat und Beteiligung – Wie geht das zusammen?

Das Erste, was mir einfällt, wenn ich an den Begriff Rechtsstaat denke, ist die Gewaltenteilung. Sie stellt sicher, dass das Handeln von Politik, Verwaltung und Rechtsprechung nur im Rahmen eines für alle gleichermaßen bindenden rechtlichen Rahmens möglich ist. Weder eine Regierung, irgendein Verwaltungsamt, noch ein Gericht können also einfach tun und lassen, was sie wollen. Sie sind immer an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz). Das finde ich sehr beruhigend, es klingt aber erst einmal vor allem nach Kontrolle und weniger nach Gestaltungsfreiraum.

In Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes, in dem die Gewaltenteilung festgelegt ist, steht der wichtige Satz: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“. Das Recht auf Wahlen zählt zu unseren wichtigsten Grundrechten und ermöglicht uns ein zentrales Instrument politischer Partizipation. Das System der repräsentativen Demokratie ermöglicht uns die Wahl unserer politischen Vertreter:innen, die sich in lokalen, in Landes- und im Bundesparlament unsere Belange einsetzen. 

Zu dieser Interessensvertretung zählt auch die Gesetzgebung, die dem Parlament als Legislative obliegt. Indem wir also unser Recht auf politische Mitbestimmung nutzen, bestimmen wir auch mit, an welches Gesetz und welches Recht die Gewalten in Deutschland gebunden sind. Da kein Gesetz dem Grundgesetz widersprechen darf, das wiederum unsere Grundrechte und Verfassungsprinzipien definiert, können wir unser politisches System durch Wahlen und möglicherweise damit einhergehende Gesetzesänderungen aber trotzdem nicht einfach so abschaffen. Der Rechtsstaat ist gewissermaßen der Sicherungskasten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der Willkür und Diktatur die Leitung kappt. Ein komplex ausbalanciertes und ganz schön cleveres System.

Junges Forum Recht: Schüler diskutiert während einer Veranstaltung. ©Felix Grünschloss  
Junges Forum Recht: Während einer Veranstaltung. ©Felix Grünschloss   

Partizipation will gelernt sein

Wir können mitreden, prima. Damit ist doch eigentlich alles geklärt, oder? Aber: Auf welcher Basis reden wir denn eigentlich mit? Ich würde mich selbst als politisch interessierte Person bezeichnen, verfolge politische Debatten und diskutiere mit. Und trotzdem frage ich mich hin und wieder, ob ich wirklich weiß, für was ich da in Wahlen abstimme und ob ich meine Prioritäten richtig setze, damit meine Wahl tatsächlich auch meine Interessen und Überzeugungen trifft? 

Um das beantworten zu können, braucht es Information und Auseinandersetzung. Mit anderen Worten: Partizipation will gelernt sein und sie bedeutet richtig Arbeit. Mehr Mitbestimmung bedeutet mehr Freiheit, damit aber auch mehr Verantwortung. Eines der medienprominentesten Beispiele war wahrscheinlich das Referendum zum Brexit, bei dem am 23. Juni 2016 eine Mehrheit in Großbritannien für den Austritt aus der EU stimmte und die Anzahl von Google-Suchen zu „Was bedeutet der Brexit?“ und „Was ist die EU?“ in enorme Höhen schoss, allerdings nicht vor, sondern erst am Tag nach der Abstimmung. Wenn man sein Recht auf politische Partizipation ernst nimmt, sollte der zeitliche Ablauf andersherum sein.

Politische Teilhabe ist nicht gleich Direktdemokratie

Partizipation bedeutet nun aber auch nicht, dass die Politik aus der Verantwortung genommen ist. Ganz im Gegenteil. Politische Teilhabe ist nicht gleich Direktdemokratie und das aus gutem Grund. Keine:r von uns kann alles wissen und verstehen, dafür ist die Welt zu komplex. Wir brauchen „Mut zur Lücke“, um unsere Rechte zur Mitbestimmung zu nutzen.

Partizipation ist aber auch kein Selbstzweck und erfordert, dass sich alle gleichermaßen darauf einlassen. Und zwar nicht erst, wenn sie das erste Mal wählen dürfen. Schon als Kinder lernen wir, dass sich das Maß an Mitbestimmung im Laufe der Zeit verändert. Und so, wie wir als Jugendliche langsam in die Selbstverantwortung für unserer Leben wachsen, braucht es unterschiedliche Formen und Formate, in denen die Beteiligung an Gestaltungsprozessen in unserer Gesellschaft ein- und ausgeübt werden kann.

Für mich zeichnet sich ein gelungener Partizipationsprozess dadurch aus, dass alle etwas davon haben: Entscheidungen werden auf eine breite Basis gestellt, Menschen erfahren Selbstwirksamkeit, in dem ihre Meinung gehört wird, das wiederum bestärkt sie darin, sich weiter zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen

Möglichkeiten gibt es viele: in der Schule, am Wohnort, in der Arbeitsstelle, in Vereinen, in der physischen Welt ebenso wie im digitalen Raum. Letztlich findet Partizipation überall da statt, wo Gesellschaft stattfindet, und zwar ein Leben lang. Eine Sache haben dabei alle Beteiligungsformate gemeinsam: Sie sind Aushandlungsprozesse und brauchen definierte Rahmenbedingungen und Regeln.

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Henrike Claussen ist Historikerin mit dem Schwerpunkt auf Rechtsgeschichte und Deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts und seit dem 15. September 2020 Direktorin der Stiftung Forum Recht. Zuvor leitete sie das Memorium Nürnberger Prozesse in Nürnberg, an dessen Gründung und Aufbau sie seit 2007 in verschiedenen Funktionen beteiligt war. Sie studierte Mittlere und Neuere Geschichte, Kunstgeschichte und Klassische Archäologie an der Universität zu Köln und war anschließend unter anderem am Dokumentationszentrum Reichsparteitage Nürnberg, bei der Weiße Rose Stiftung e.V. in München sowie freiberuflich tätig.

©SFR_Paul_Gaertner

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