„Wichtig, seine Stimme zu erheben“

Über das Leadership-Seminar „Politisches Berlin“

Was haben Jens Spahn, Kevin Kühnert, der Rapper Ben Salomo und Dietmar Bartsch gemeinsam? Richtig, sie alle standen auf dem Programm der Bildungsreise „Politisches Berlin“, zu dem die WerteInitiative mit ihren Kooperationspartnern, dem Ernst-Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) und der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), geladen hatte.

Die WerteInitiative – ein jüdischer Verein, der sich für die Stärkung der Werte der freiheitlich demokratischen Grundordnung einsetzt, um eine jüdische Zukunft in Deutschland zu sichern, hatte ein vielseitiges und anspruchsvolles Programm vorbereitet. Die Teilnehmenden erwarteten bei diesem Leadership-Seminar drei volle Tage. Ziel war es, einen Einblick hinter die Kulissen des politischen Betriebs zu ermöglichen und die Gelegenheit zu schaffen, mit hochrangigen Politikerinnen und Politikern in den Austausch zu treten, um so aus erster Hand Einschätzungen über wichtige Fertigkeiten, Erkenntnisse und Erfahrungen für die politische Arbeit zu erlangen. Welche Wege gibt es in die Politik, wie findet man Mehrheiten für seine Position und wie gestaltet sich die Arbeit im Parlament – für all diese Fragen war Raum in Treffen mit Mitgliedern des Bundestags, ehemaligen Bundestagsabgeordneten und mit den Vertreterinnen und Vertretern der politischen Stiftungen.

Und so kamen im November 2022 über 40 junge Erwachsene, die sich nachhaltig für politische Demokratiebildung aus jüdisch-deutscher Perspektive interessieren und engagieren, aus der ganzen Bundesrepublik in der Hauptstadt zusammen und ließen sich auch vom Bahnchaos nicht aufhalten. „Ich finde es wichtig, seine Stimme zu erheben und für Belange einzusetzen, die einem am Herzen liegen – meine Anliegen haben oft auch mit meiner jüdischen Identität zu tun. Bei diesem Seminar gibt es die Chance, diese nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit zu artikulieren, sondern auch gegenüber politischen Entscheidungsträgern, die direkt Einfluss nehmen können“, sagte zum Beispiel  die Teilnehmerin Eva Chudnovskaya, Studentin der Rechtswissenschaften aus Hamburg. So wie Eva geht es vielen bei diesem Seminar – sie sind jung, die meisten jüdisch, kommen aus Berlin, München, Münster, Düsseldorf, Chemnitz und vielen weiteren Ecken der Republik, engagieren sich politisch in Parteien oder deren Jugendorganisationen, in Hochschulgruppen oder diversen Vereinen und sie wollen als aktiver Teil der Gesellschaft ihre Positionen genauso repräsentiert sehen wie andere auch. Sich mit politischen Themen zu befassen, gehört für die meisten zum Alltag.

Von Spahn bis Bartsch

Bei den Treffen mit den Politiker:innen kamen neben den Fragen zum politischen Betrieb auch immer wieder  inhaltliche Diskussionen auf. Sei es mit Jens Spahn (CDU) zum Wohlstandsversprechen Deutschlands, mit Kevin Kühnert (SPD) zum Bürgergeld, mit Dietmar Bartsch (Die Linke) zu der Essenz der Linken als Arbeiterpartei, mit Marlene Schöneberger (Bündnis 90/Die Grünen) zur Förderung jüdischen Lebens in Deutschland, mit Olaf in der Beek (FDP) zum Klimaschutz oder mit Sarah Ryglewski (Staatsministerin im Kanzleramt) zur Vermittlung zwischen Bund und Ländern. Die unterschiedlichsten Themen wurden behandelt und Perspektiven aufgezeigt, die Teilnehmenden konnten dabei die Schwerpunktsetzung frei wählen, Tabuthemen gab es keine. 

„Ich habe viele politische Anliegen, aber eine besonders große Herausforderung sehe ich zurzeit im Umgang mit Antizionismus und israelbezogenem Antisemitismus – dieser Antisemitismus ist besonders gefährlich, da er unter dem Deckmantel der ‚Israelkritik‘ geäußert wird. Für diese Form des Antisemitismus fehlt oft noch die Sensibilisierung in der Gesellschaft, aber auch in der Politik – mir ist wichtig, dass sich das ändert“, so Eva Chudnovskaya. Ihre und die Einschätzungen anderer Teilnehmenden führten dazu, dass mit den Bundestagsabgeordneten auch Fragen zum Umgang mit Antisemitismus in der Bevölkerung, sei es von rechts, von links, aus der Mitte oder von religiöser Seite diskutiert wurde, aber auch der Umgang damit in der eigenen Partei. Daniel Freitag aus Münster, der zu antisemitischen Verschwörungsmythen promoviert, resümiert: „Mir war es wichtig, die politischen Vertreterinnen und Vertreter der Parteien nach ihrer konkreten Arbeit gegen Antisemitismus zu befragen. Gerade die Breite der besuchten Parteien von Spahn bis Bartsch hat mir dabei gefallen, um unterschiedliche Gewichtungen bei der Bekämpfung von Antisemitismus und dem Schutz jüdischen Lebens zu erfahren. Man hat auch gemerkt, dass die Belange der Jüdischen Gemeinden ernst genommen werden, und das ist auch eine Motivation für das eigene Engagement.“

Und wer gedacht hat, dass der Tag nach solch einem Ritt durch die politische Landschaft vorbei wäre, der hat sich geirrt. Es wurde noch richtig leidenschaftlich. Bei einem Panel, ausgerichtet von ELES unter dem Motto „Nie wieder! – Floskel oder Programm?“, diskutierten die Jungpolitiker:innen der Jugendorganisationen der Parteien und scheuten keine Konfrontation. Darunter Alice Schmidt (JuLis), Finn Wandhoff (JU), Timon Dzienus (Grüne Jugend) und Manon Luther (Jusos) – es ging um die großen Themen, die alle bewegten. Um die Revolutionsbestrebungen der Menschen im Iran, die außenpolitischen Entscheidungen der Bundesregierung in der Vergangenheit und die Weichenstellung für die Zukunft oder aber auch ihr persönliches Verständnis des „Nie wieder“ sowie dem damit einhergehenden politischen Auftrag.

Es geht doch nichts über ein Panel

Auch sonst lautete bei diesem Seminar die Devise: Panel, Panel, Panel. Denn das bedeutet nämlich auch, Demokratie in Action zu erleben, unterschiedliche Stimmen und Perspektiven zu hören, sich auf Diskussionen einzulassen und einen Wettstreit der Ideen zu fördern.

Ein Panel mit Ben Salomo, Mirna Funk und Richard Volkmann befasste sich mit dem Umgang und der Positionierung von jüdischen Stimmen in der Öffentlichkeit. Hier berichtete unter anderem Ben Salomo von seinen Erfahrungen in der Rap-Szene als jüdischer Künstler.

Ein weiteres Panel, besetzt mit den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Fritz Felgentreu (SPD), Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) und Klaus-Dieter Gröhler (CDU), sprach über die aktuelle Verfassung unserer Demokratie. Es wurde die eigene Auffassung des Berufs „Bundestagsabgeordneter“ diskutiert und auch ein Rückblick auf die eigene Arbeit im Parlament gewährt – mit der hier vorhandenen nötigen Distanz durften auch der ein oder andere Scherz und Anekdoten nicht fehlen.

Die freiheitlich demokratische Grundordnung verteidigen

„Der Gedanke von Fritz Felgentreu, die demokratische Mitte mit Verweis auf die Weimarer Republik mehr zu stärken, um sich auf der Basis der gleichen Grundüberzeugungen gemeinsam gegen die extremistischen Ränder positionieren zu können, finde ich äußerst wichtig“, so Daniel Freitag nach dem Panel.

Eine starke und wehrhafte Demokratie, darum geht es den Teilnehmenden des Seminars und auch der WerteInititative. Es gilt, die Werte unserer Verfassung zu verteidigen und so eine offene und pluralistische Gesellschaft zu ermöglichen. Dafür braucht es auch einen starken Rechtsstaat zur Abwehr der Feinde der Demokratie. „Unsere freiheitlich demokratische Grundordnung muss positiv erlebbar werden, deshalb setzen wir uns unter anderem auch dafür ein, dass der 23. Mai – der Geburtstag des Grundgesetzes – ein Feiertag wird. Ein Tag, an dem mit bundesweiten Straßenfesten die Demokratie und ihre Werte gefeiert werden. Und ein Tag, der in Schulen und Vereinen eingebettet wird, in Bildung rund um das Grundgesetz. Denn es ist wichtig, nicht nur zu wissen, wogegen man kämpft, sondern auch, wofür man steht“, so Elio Adler, Vorsitzender der WerteInitiative.

Auch wenn sicherlich noch genügend Diskussionsstoff da gewesen wäre – nach drei Tagen „Politisches Berlin“ heißt es für die Teilnehmenden Abschied nehmen. Das Engagement geht aber weiter. Auch nächstes Jahr wird es, wie schon in diesem Jahr, ein parallellaufendes Programm für Alumni mit weiteren anderen Einblicken in die Politik geben. Und um zur Anfangsfrage zurückzukommen – wer weiß, vielleicht können Jens Spahn, Kevin Kühnert und Dietmar Bartsch ja auch rappen?

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Irene Miziritska lebt, studiert, arbeitet und schreibt in München. Neben ihrem wirtschaftswissenschaftlichen Studium begeistert sie sich für den Journalismus.

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