Die politische Debattenkultur

Von verhärteten Grenzen und Täter:innen

Laute Stimmen, erregte Gemüter, empörte Gesichter und einen Buhmann. Damit assoziieren viele eine erhitzte Debatte. Auf der einen Seite stehen die Katar-WM-Befürworter:innen auf der anderen die Katar-WM Gegner:innen. Entweder für oder gegen die Sache sein. Doch ist es immer Schwarz und Weiß? 

Unter einer Debatte wird im weiten Sinne eine sprachliche Auseinandersetzung verstanden. Es stehen sich zwei gegensätzliche Positionen gegenüber, die gesellschaftlich als gleichwertig empfunden werden: Die Frage, ob gegendert werden sollte oder nicht, nach einem allgemeinen Tempolimit auf den Autobahnen, der Fortsetzung des 9€-Tickets etc. Das Ziel liegt darin, durch klar erkennbare Gedankengänge, Sprachgewandtheit und logische Argumente zu überzeugen. Der Begriff Debatte entspringt dem Mittelalter und leitet sich vom Streitgespräch ab. In eben dieser Definition, diesem Verständnis liegen auch die Limitationen unserer Debattenkultur. Ein Streitgespräch produziert in der Regel eine:n Täter:in und ein Opfer. In anderen Worten hängt eine Schuldfrage wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Streitenden.

Verhärtete Grenzen und die Schuldfrage

Sobald eine Schuldfrage formuliert wurde, bewegt sich eine sachliche Debatte oftmals auf eine emotionale Ebene mit verhärteten Grenzen. Es geht nicht mehr darum, eine gemeinsame Lösung zu finden, sondern an dem oder der Täter:in ein Exempel zu statuieren. Zum Beispiel geht es dann nicht länger um die grundlegende Frage, nach welchen moralischen und ethischen Richtlinien sich Fußballweltmeisterschaften ausrichten sollten, sondern darum, warum genau Katar ungeeignet für eine WM-Austragung sei und ob sich Nationalmannschaften richtig positioniert haben. Gewiss kann eine schnelle Antwort gefunden werden, aber es bleibt die Frage, wie nachhaltig das Ganze sein wird. Um beim Beispiel der Fußballweltmeisterschaft in Katar zu bleiben: Katar wird berechtigterweise für seine Menschenrechtsverletzungen bezüglich der verstorbenen Gastarbeiter kritisiert, wegen des Mangels an Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit unter einer absoluten Monarchie und vieler weiterer Aspekte. Jedoch mischen sich unter die berechtigte Kritik auch anti-muslimische Ressentiments, persönliche Vorurteile, die ohnehin schon vorlagen. Während die WM in Katar oftmals als Event isoliert kritisiert wird, bleiben die Strukturen, die die Vergabe überhaupt erst möglich gemacht haben, weiterhin bestehen. Die Schuldfrage in Debatten sollte aufgrund dessen weg von Einzelakteuren, hier Katar als Regime, hin zu ganzheitlich betrachteten Sachverhalten übergehen. Sodass W-Fragen geklärt werden: Wie kommt es zu WM-Vergaben? Wer ist involviert? Welche finanziellen Interessen liegen bei internationalen Sportevents vor? Ansonsten verändert sich alleinig der Ort und die Menschenrechtsverletzungen vor Ort weichen anderen.

Der Hang zum Canceln

 

Zum Zeitpunkt einer öffentlichen politischen Debatte ist der Schaden bereits erfolgt. Bloße Schuldzuweisungen helfen langfristig niemandem. Es führt dazu, dass keiner im Unrecht sein möchte und gleichzeitig davon überzeugt ist, im Recht zu sein. Im schlimmsten Fall geht es darum, zuzuhören, um etwas zu entgegnen. Nicht ums Zuhören und Verstehen.

Ein Begriff, welcher in politischen Debatten wiederholt ins Auge springt, ist der der Cancel Culture. Dieser beschreibt die Entscheidung, eine Person aufgrund öffentlichen Fehlverhaltens nicht weiter zu unterstützen. Dies kann bis zu einer Verweigerung von monetärer Unterstützung gehen. Die Cancel Culture wie auch unsere politische Debattenkultur halten der Fehlerkultur in Deutschland einen Spiegel vor.

Fehler gleichen einer Sünde und sind mit Scham verbunden. Dementsprechend möchte niemand diese zugeben. Die heutige Gesellschaft ist sensibler und inklusiver denn je. Das bedeutet konkret, dass Sprache an die Bedürfnisse einer Gesellschaft angepasst wird, somit mehr politische Korrektheit im Alltag propagiert wird. Politisch korrekt oder auch „woke“ zu sein, wird jedoch auch gerne als Beleidigungen verwendet, um zu diskreditieren. Der Angriff gilt also nicht mehr dem Argument selbst, sondern geht auf die Person über. Der Vorwurf lautet folglich, Identitätspolitik zu betreiben und somit aus einer Position moralischer Überlegenheit einen Maulkorb anzulegen. Im Extremfall wird Cancel Culture auch als Zensur bezeichnet, was jedoch nicht richtig ist, da eine Zensur staatliche Kontrolle bedeutet und diese durch den Artikel 5 des Grundgesetzes verboten wird.

Cancel Culture hat seine Grenzen im definierten Ziel. Wenn die Empörung wichtiger wird, als für ein Problem eine Lösung zu finden, dann erfüllt das Canceln lediglich kurzfristige Ziele. Das Schaffen eines Bewusstseins für ein Problem. Die Debatte wird stark verkürzt und der Sache nicht gerecht. Da bereits ein:e Täter:in gefunden wurde, ist jede weitere Aussage dieser Person im Vorhinein besudelt. Unabhängig von der Stichhaltigkeit der Argumentation. Aus Angst davor, Fehler zu machen, werden eigene Positionen nicht mehr mit derselben Offenheit vertreten. Jedoch sollte eine gute politische Debattenkultur dazu ermutigen, Fehler zu machen und sich korrigieren zu lassen. Im Eifer des Gefechts kommen jedoch erhitzte Gemüter ins Spiel, komplexe zwischenmenschliche Beziehungen, Vorgeschichten etc., auf die keine Theorie vorbereiten kann. Dennoch sollte eines festgehalten werden.

Nicht zustimmen bedeutet nicht direkt Ablehnung

Es sollte möglich sein, Diskussionen zu führen, unterschiedlicher Meinung zu sein und auch mal nicht auf einen Nenner zu kommen. Ebenso sollte es möglich sein, Kompromisse zu finden. Dafür muss vorab in Diskussionen ein gemeinsames Wir definiert werden, welches während der Debatte konkretisiert wird. Die Grundfrage lautet: Wo wollen wir nach dieser Debatte GEMEINSAM stehen? Dadurch kann von den Gemeinsamkeiten auf die Differenzen geschlossen werden und von dort auf die weiteren Schritte. Ein jüngeres Beispiel ist die Einbürgerungs-Reform. Migration und Einbürgerung sind in Deutschland seit eh und je emotionale Themen, die auch auf Kosten der Fakten gehen. Fakt ist, dass Deutschland einen Fachkräftemangel von etwa 900.000 Stellen hat. Bis zum Jahr 2034 steigt der Anteil der 67-Jährigen an allen Erwerbstätigen von 20 bis 67 Jahren auf 30  bis 45 Prozent. Dies bedeutet, dass ein Drittel der Erwerbstätigen bis 2060 wegfallen wird, wenn Deutschland sich weiterhin resistent gegen Einwanderungen stellt. Die Debatte über Einwanderung geht vermehrt in Richtung Vorwurf einer unkontrollierten Einwanderung. Sprich, negative Framings über Personen mit Einbürgerungsabsicht, obwohl den Zahlen nach Deutschland das größere Bedürfnis zu haben scheint. Die FDP stellt sich gegen die Einbürgerungs-Reform, obwohl sie sich für vereinfachte Bedingungen der Einbürgerung in ihrem Wahlprogramm und mit dem Koalitionsvertrag ausgesprochen hat. Die CDU schließt sich dieser Kritik an. Dabei werden jedoch Einwanderung, Abschiebung und illegale Migration vermengt. Damit eine Gesprächsgrundlage geschaffen werden kann, muss analysiert werden, welche Differenzen der Debatte zugrunde liegen. Zudem, welche Framings und Vorstellungen vorliegen, die diese Diskussion erschweren und Schuldfragen in den Raum stellen. Ansonsten wird  basierend auf gefühlten Wahrheiten argumentiert, wo Köpfe eingeschlagen werden und jegliche Intention für einen Dialog aus dem Kopf geschlagen wird. Politische Debatten bedeuten nicht nur, andere Meinungen auszuhalten, sondern sich auch mit anderen Perspektiven anzufreunden, offen dafür zu sein, sich diese durch den Kopf gehen zu lassen. Debatten sind eine Möglichkeit, die Grenzen und Widersprüchlichkeiten der eigenen Perspektiven und Theorien zu testen, wenn es nur gewollt wird. Denn was nicht vergessen werden darf, ist, dass Schicksale von Menschen auf dem Spiel stehen.

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Ridal Carel Tchoukuegno ist freier Journalist und Host des Podcasts Redlektion. Seine Schwerpunkte sind Gesellschaft, (Pop)Kultur und Politik aus einer interkulturellen Perspektive.

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