Die große Verstrickung
(Post-)Kolonialismus und die Klimakrise
Klimakrise und Kolonialismus – wie hängt das zusammen? Und welche Rolle spielt post-kolonialistisches Handeln im Umwelt- und Klimaschutz? Von den Anfängen der Klimakrise, der Arbeit der amerikanisch-philippinischen Aktivistin Kristy Drutman und einem ungewöhnlichen Video-Projekt in Tansania.
Wer sich mit Klimakrise und Kolonialismus beschäftigt, stellt schnell fest: Beides ist enger miteinander verwoben, als man auf den ersten Blick denken könnte. Klimakrise ist gleich Umweltverschmutzung ist gleich Kolonialismus ist gleich Rassismus ist gleich White Supremacy. All diese Themen hängen miteinander zusammen. Wir müssen sie intersektional betrachten.
Aber alles der Reihe nach. Die Anfänge dieser Verstrickung liegen schon lange zurück. Sie beginnt, als sich europäische Schiffe 1492 auf den Weg zu den Amerikas machen. Geleitet von ihrem Hunger nach Gold treiben die Europäer die indigenen Völker in den folgenden Jahren und Jahrzehnten an den Rand der Ausrottung – und darüber hinaus. Sie vergewaltigen und morden, schleppen neue Krankheiten ein.
Es ist der Anfang der Kolonialisierung und Versklavung mit all ihren brutalen Folgen für die Unterdrückten. Aber es ist auch der Anfang der Umwelt- und Klimakrise. Denn die Europäer bedienen sich nicht nur an den Menschen, sie bereichern sich auch an den natürlichen Ressourcen der Amerikas.
Weiter befördert wird die Errichtung von Kolonien später auch durch die Industrialisierung. Mit ihrem Einsetzen fallen dann erstmals in erheblichem Maße menschengemachte Treibhausgasemissionen an. Und auch wenn wir diese Eingriffe ins Gleichgewicht der Atmosphäre erst viel später zu spüren bekommen: Sie bilden den Startpunkt der Klimakrise wie wir sie heute erleben.
Die doppelte Ausbeutung
Die Ausbeutung von Menschen auf der einen und Natur auf der anderen Seite gehören also untrennbar zusammen. Und während die einen (der Globale Norden) fortan gut leben, zahlen die anderen (der Globale Süden) die Rechnung. An diesem Umstand hat sich bis heute nicht viel geändert. Denn kolonialistische Strukturen und Denkmuster sind mit der Unabhängigkeit der unterdrückten Länder nicht einfach verschwunden.
Noch immer basiert unser Reichtum darauf, dass wir dessen Folgen zeitlich und räumlich auslagern. Dass Menschen unter unwürdigen Arbeitsbedingungen billige Produkte für „den Westen“ herstellen. Dass anderswo Raubbau an natürlichen Ressourcen betrieben wird, um unseren Lebensstandard zu sichern.
Grüner Kolonialismus
Dabei beschränkt sich dieser Effekt nicht nur auf billige Konsumartikel. Auch im Kontext der Nachhaltigkeit ist er zu beobachten. Denn auch vermeintlich nachhaltige Technologien kommen oft nicht ohne Konfliktrohstoffe aus. Beispiel: Windkraftanlagen. Wie das CleanEnergy Project schreibt, kommt in etwa jedem fünften Windrad das Metall Neodym zum Einsatz. Neodym gehört zu den sogenannten Seltenen Erden und lässt sich nur unter großem Aufwand und mithilfe von Chemikalien abbauen, die einen toxischen Schlamm zurücklassen. Abgebaut wird Neodym vorwiegend in China, einem Land, mit immer noch vergleichsweise schwachen Umweltschutzgesetzen. Eine Vielzahl ökologischer und sozialer Probleme verursacht auch der Abbau von Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo. Kobalt kommt unter anderem in Akkus zum Einsatz – auch in denen von E-Autos.
Post-kolonialistische Muster im Naturschutz
„Die einzige Möglichkeit, mit der Auslöschung umzugehen, ist es, das Narrativ zurückzuerobern“, ist einer dieser markanten Sätze, die Kristy Drutman am laufenden Band sagt. Kristy ist US-amerikanische Umweltaktivistin und Social-Media-Strategin mit jüdisch-philippinischen Wurzeln. Die 26-Jährige betreibt den Instagram-Account @browngirl_green und setzt sich dafür ein, die Sichtbarkeit von Black, Indigenous and People of ColorPeople of Color ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismus erfahren, und ist im Rahmen der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung entstanden. (BIPOCDie Abkürzung von Black, Indigenous, People of Color hat ihren Ursprung im anglo-amerikanischen Raum, um vielfältige Formen von Rassismen und damit einhergehende Erfahrungen zu benennen. Diese politische Selbstbezeichnung findet sich in Deutschland auch in aktivistischer und wissenschaftlicher Verwendung.) im Umwelt- und Klimaschutz zu erhöhen. Denn – und darauf bezieht sich auch ihre Aussage oben – noch sind BIPOCDie Abkürzung von Black, Indigenous, People of Color hat ihren Ursprung im anglo-amerikanischen Raum, um vielfältige Formen von Rassismen und damit einhergehende Erfahrungen zu benennen. Diese politische Selbstbezeichnung findet sich in Deutschland auch in aktivistischer und wissenschaftlicher Verwendung. in dieser Debatte völlig unterrepräsentiert.
Das zeigt sich etwa am Beispiel des Stamms der Maasai in Tansania. Zwar wird immer wieder über die Belange der Indigenen gesprochen, wenn es darum geht, die Region des Ngorongoro-Kraters und die Serengeti zu schützen. Aber nur selten kommen die Massai selbst zu Wort, können die Geschichte aus ihrer Perspektive erzählen. Stattdessen werden sie – vordergründig im Interesse des Naturschutzes – von ihrem traditionellen Land vertrieben. Eine Studie des Oakland Institute besagt, dass aktuell rund 80.000 Menschen umgesiedelt werden sollen, um das Naturschutzgebiet der Region auszuweiten. Das Institut geht davon aus, dass nicht der Naturschutz, sondern der Ausbau des Tourismus der eigentliche Grund für die Vertreibung ist.
Marginalisierten Gruppen eine Stimme geben
Kristy hat ein Interview mit einem Vertreter der Maasai geführt. Sie erzählt, dass junge Menschen aus dem Stamm ein Video-Kollektiv gegründet haben. Die Idee: Die Jungen interviewen die Stammesältesten und befragen sie, wie sie in der Vergangenheit die Natur in ihrer Region geschützt haben. Denn ein Vorwurf an die Maasai lautet, dass ihre Naturschutzpraktiken veraltet seien. Die Hoffnung ist, dass die Video-Interviews dieses Bild korrigieren können. Vor allem aber geht es darum, sich die Hoheit über das vorherrschende Narrativ auf diese Weise zurückzuerobern. „Die Geschichte der Maasai ist ein gutes Beispiel dafür, warum es so wichtig ist, den Menschen im Globalen Süden eine Stimme, ein Mikrofon, zu geben“, sagt Kristy. Und ergänzt „Ob die Botschaft dann auch gehört wird, steht natürlich auf einem anderen Blatt.“
Warum Kristy die Beteiligung von BIPOC-Communitys in diesem Kontext so wichtig findet, hat mit deren besonderer Perspektive zu tun. „Widerstandsfähig zu werden gegen den Klimawandel, Pläne für Katastrophenfälle zu entwickeln, Investitionen in bestimmte Infrastrukturen zu tätigen – all das ist extrem kontextspezifisch. Wir können diese Arbeit nicht immer den gleichen weißen, privilegierten Menschen überlassen.“ Dafür brauche es die Communitys, die direkt davon betroffen sind und genau wissen, was in ihrem Umfeld funktioniert und was nicht. „Die Klimakrise ist die größte Krise, der sich die Menschheit je stellen musste. Zum ersten Mal können wir uns nicht nur auf Aktivismus verlassen. Diesmal müssen viele unterschiedliche Menschen und Sektoren zusammenarbeiten. Das ist eine beängstigende Vorstellung, macht aber auch Hoffnung. Denn dann sind wir viele.”
Strukturen erkennen und auflösen
Kristys Arbeit und das Beispiel der Maasai zeigen: Auf dem Weg, kolonialistische Strukturen und Muster aufzubrechen, haben wir immer noch ein ganzes Stück vor uns. Dass wir diesen Weg gehen müssen, steht dennoch außer Frage. Denn echter Klima- und Umweltschutz geht nicht ohne Gerechtigkeit. Oder mit anderen Worten: Nur was gerecht ist, ist auch wirklich nachhaltig.
Ein Anfang besteht darin, die historischen Zusammenhänge zwischen Klimakrise und Kolonialismus zu erkennen. Noch wichtiger aber ist, die heute noch bestehende Verstrickung von Klimaschutz, White Supremacy, Rassismus und post-kolonialistischem Denken aufzulösen – intersektional und indem wir alle Beteiligten und Betroffenen einbeziehen und hören. Dann haben auch die Maasai eine echte Chance, die rechtmäßigen Hüter ihres Landes zu bleiben.
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