Ohne Demokratie keine Kreislaufwirtschaft
Die Wirtschaft setzt auf Zirkularität für eine nachhaltige Zukunft. Was ist dabei zu beachten und wieso betrifft uns das alle?
Würden wir beim ziellosen Herumsurfen in den einschlägigen Wirtschaftsmedien Bingo spielen, dürfte ein Begriff nicht mehr fehlen: Kreislaufwirtschaft. In der Europäischen Union ist sie schon fester Bestandteil aller Zukunftsvisionen, aber was ist damit eigentlich gemeint?
So cool das Wort Kreislaufwirtschaft klingt, so unsexy ist das, was dahinter steckt. Es geht nämlich in erster Linie um den Wertstoff Müll. Um deinen und meinen Müll, aber auch den, der tagtäglich in der Industrie anfällt und den wir eigentlich nie sehen. Der Müll, der ins Ausland verschifft wird, auf illegalen Deponien gelagert oder verbrannt. Und darum ist das Thema auch ein hoch demokratisches, es geht uns alle an. Denn eine lebendige Demokratie ist die Grundlage einer gesunden (Kreislauf-)Wirtschaft.
Gesamtgesellschaftlicher Mehrwert
Demokratie beruht auf starken Institutionen, stellt der Ökonom Daron Acemoglu in seinem Bestseller „Why Nations Fail” fest. Er zeigt anhand vieler Beispiele, dass Nationen, die über inklusive Institutionen verfügen, auch Wohlstand und Teilhabe sichern können. Indem sie sichere Eigentumsverhältnisse schaffen, eine freie Marktwirtschaft fördern und öffentliche Dienstleistungen anbieten, die es Bürger:innen ermöglichen, mutig innovative Unternehmen zu gründen. Darüber hinaus schaffen diese Institutionen Anreize, die einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert bilden. Es lohnt sich für die Bürger:innen also, sich einzubringen, zu investieren und Innovationen voranzubringen, statt alles für sich zu behalten.
So entsteht eine breite Mitwirkung der Bevölkerung an Politik und Wirtschaft, und die Ausbeutung von Ressourcen zum Nutzen einzelner Personen ohne Mehrwert für den Rest der Gesellschaft kann verhindert werden.
Zusammengefasst sind dies alles auch Notwendigkeiten für eine gelingende Kreislaufwirtschaft. Die steckt nämlich noch in den Kinderschuhen und braucht Innovation, mutige Vordenker:innen und Konzepte, die einen Mehrwert für die Gesellschaft bilden, statt nur für einzelne Unternehmer:innen.
Linear vs. Kreislauf
Betrachten wir den Status quo, sehen wir eine Wirtschaft, die komplett linear funktioniert. Entwickeln, produzieren, verkaufen, konsumieren, wegwerfen. Gelingt der Wandel hin zu einer kreislauffähigen Wirtschaft, entfällt im besten Falle das Wegwerfen. Denn schon in der Produktentwicklung, genauer gesagt im Designprozess, kann ein Nutzen über die Lebensdauer hinweg implementiert werden. Nicht umsonst heißt es: „Waste is a design flaw” – Müll ist ein Designfehler.
Wenn es funktioniert, ist es ein Wertstoff. Wenn es nicht funktioniert, ist es Müll, der sich neben den Bewohner:innen auftürmt. An der Menge des Mülls in den Straßen erkennt man den Wohlstand eines Stadtteils. Flaschenpfand, nebenbei bemerkt das erfolgreichste Beispiel für Kreislaufwirtschaft und weltweit trotzdem noch eine Seltenheit, sammeln diejenigen Menschen aus Mülleimern, die aus dem System fallen. Genauso verhält es sich mit Altkleidercontainern. Ein perfektes Beispiel für den Zusammenhang zwischen Demokratie und gelebter Kreislaufwirtschaft. Kleidungsstücke, von den Träger:innen oft schnell aussortiert, erfahren einen neuen Nutzen durch die zahlreichen institutionellen Textilverwerter, die diese teils für den guten Zweck, teils für den eigenen Unternehmensgewinn, sammeln, sortieren und weiterverwenden. Besonders die karitative Sammlung, beispielsweise vom Roten Kreuz, ist bedeutungsvoll, denn sie zeigt, wie aus Müll ein Wertstoff mit gesamtgesellschaftlichem Nutzen wird. Die Kleidungsstücke werden, wenn möglich, direkt an Menschen mit Bedarf weitergegeben (warme Kleidung, festes Schuhwerk) oder in Charity-Shops zur Deckung der Kosten von gemeinnützigen Projekten verkauft.
Eine Lösung
Weltweit werden pro Jahr 180 Milliarden Kleidungsstücke produziert. Laut Greenpeace kauft jeder deutsche Mensch sechzig Kleidungsstücke jährlich. Der Großteil davon wird selten bis gar nicht getragen. Wir nutzen das Produkt „Kleidungsstück” nicht annähernd so lange, wie seine Lebensdauer es hergeben würde. Darum haben wir uns im Jahr 2012 Kleiderei ausgedacht, den geteilten Kleiderschrank, in dem geliehen werden kann, wie bei der besten Freundin. Aber auch Re-Sale, was bedeutet, dass die Ex-Träger:innen ihre Kleidungsstücke selbst weiterverkaufen, boomt. Und dies nicht nur bei eigens dafür gegründeten Start-ups, sondern auch, man mag es kaum glauben, auf den Online-Portalen der großen Vertikalen der Modewelt. Statt Produkte zu designen, die nicht mehr zu Müll werden, kaufen die Moderiesen die Kleiderschränke ihrer Kund:innen (zurück) und entlohnen diese mit Konsum ankurbelnden Rabattcodes und Gutscheinen. Dies stärkt zwar den Wohlstand, aber nutzt der Allgemeinheit wenig – denn gehandelt werden vor allem die qualitativ hochwertigen Designerteile. Das, was die Konzerne in milliardenfacher Ausführung aus Polyester unters Volk mischen, das möchten sie selbst nicht zurückkaufen. Und so stapeln sich überall da, wo der Wohlstand nicht herrscht, die billigen Kleidungsstücke neben den Containern, während die Jagd nach den Pre-Loved-Luxus-Schnäppchen den karitativen Textilverwertern das Konzept versaut.
Denn natürlich lebten auch die einst davon, dass auch hochwertige, langlebige Produkte ihren Weg in die Container fanden. „Sharing is Caring”, das Credo der Kreislaufwirtschafts-Visionäre sieht anders aus. Und so öffnet sich ein ganzes Spielfeld für junge, innovative Ideen, denen es gelingt, Ressourcennutzung und demokratische Teilhabe zusammenzudenken. Die Produkte entwerfen, die weder heute noch morgen zu Müll werden – sondern kreislauffähig sind. Was es dafür auf jeden Fall braucht, sind Institutionen, wie die Europäische Union, die mit Gesetzen wirtschaftliche Rahmenbedingungen gestalten. Dabei geht es nicht um Verbote, sondern um Raum für freie Entwicklung, Schutz und Systeme, die kreatives, gerechtes Wirtschaften möglich machen.
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