Feminismus heute

Feminismus heute

Keine „One size fits all“-Lösungen

Es ist schon einige Zeit her, da saß ich mit einer Bekannten zusammen, die wie ich als Journalistin und Autorin über das Thema Feminismus schreibt. „Wer hätte das gedacht“, staunte sie, „dass der Kapitalismus es einmal schaffen würde, den Feminismus zu vereinnahmen.“ Ja, wer hätte das gedacht. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit war Feminismus nämlich etwas, mit dem sich garantiert kein Geld machen ließ. Viele in Deutschland brachten mit dem Begriff nur Alice Schwarzer, lila Latzhosen und unrasierte Beine in Verbindung – die ganze Bandbreite der Klischees. Sich öffentlich als Feminist:in bezeichnen wollten die wenigsten. Und heute? Ist Feminismus plötzlich überall. Mehr noch: Er ist hip. Produkte werden mit ihm beworben, Stars und Sternchen sprechen in Interviews über ihre feministischen Überzeugungen, Feminist:innen sitzen selbstverständlich in Talkshows und feministische Slogans – oder das, was man so darunter versteht – zieren Jutebeutel, Notizbücher und Luxusmode: So bedruckte das Modehaus Dior für seine Frühjahrskollektion 2017 T-Shirts mit dem bei der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie entliehenen Slogan We should all be feminists (Kostenpunkt: 620 Euro pro Shirt).

Weich, fluffig, nett

Diesem kommerzialisierten Marktfeminismus geht es nicht mehr um Gesellschaft, um Strukturen oder Macht. Sondern um ein individuelles Feel-Good-Gefühl, um das herrlich vieldeutige „Empowerment“. Als die dazu passenden Vorbilder und Repräsentant:innen gelten allzu oft prominente weiße Frauen, die schön und erfolgreich und irgendwie feministisch sind, aber nicht zu sehr. Der Feminismus als gesellschaftspolitische Bewegung, mit all seinen Zielen und Überzeugungen, wird so entpolitisiert, er wird weich, fluffig, ein nettes Accessoire. Das Problem: Wenn alles Feminismus ist – was ist Feminismus dann noch?

Alle Fotos: ©Felicitas Jander

Vor allem: Wird er überhaupt noch gebraucht? Diese Frage wird Feminist:innen seit Jahrzehnten, ach, noch länger, entgegengeschleudert. Auch heute, wo es – unter anderem dank globaler Bewegungen wie #metoo – endlich ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür zu geben scheint, dass in Sachen Gleichberechtigung hierzulande noch einiges schiefläuft. Gerade heute. Denn dass feministische Themen uns mittlerweile regelmäßig begegnen, ob in Medien und Öffentlichkeit oder in Kunst und Kultur, scheinen viele mit tatsächlicher Gleichberechtigung zu verwechseln. Fast wöchentlich sind besorgte Stimmen zu vernehmen, die davor warnen, nun würde es aber mal reichen. Gerne ist dann von „Genderwahnsinn“ die Rede, von „Gleichschaltung“. Ganz nach dem Motto: Gebt euch mit dem zufrieden, was ihr habt, seid nicht so gierig. Feminismus ist aber von Natur aus gierig, schließlich stellt er eine Überschreitung dessen dar, was ist. Er ist Richtung Zukunft gewandt. Dafür hat er schon immer viel Gegenwind abbekommen, seine Anliegen, seine ganze Existenz, wurden in Frage gestellt. Feminismus, das ist auch permanente Rechtfertigung. Momentan ist der Gegenwind besonders stark: Seit der letzten Bundestagswahl sitzt die AfD im Parlament – eine Partei, die offen für ein antiquiertes Frauen- und Geschlechterbild wirbt und viele feministische Errungenschaften am liebsten rückgängig machen würde. Erfolgreich hat die AfD den gesellschaftlichen und politischen Diskurs nach rechts verschoben. Meinungen, die noch vor ein paar Jahren „nur“ am Stammtisch geäußert wurden, sind jetzt salonfähig. Rassistische, sexistische, menschenverachtende Meinungen.

So viel mehr als „Geschlecht“

In so einer Situation helfen uns Feel-Good-Formeln und Girl Power nicht weiter. Wenn sich Feminismus gegen Entpolitisierung auf der einen und gegen Backlash auf der anderen Seite behaupten soll, dann müssen wir – Menschen, die unter „gender equality“ mehr verstehen als den Status quo – den Begriff „Feminismus“ weiter mit konkreten Inhalten füllen. Wir müssen klarmachen, dass Feminismus eine gesellschaftspolitische Bewegung mit revolutionärem Anspruch ist – und kein bloßes Werkzeug für individuelles Empowerment. 

Wenn Feminismus auch in Zukunft relevant sein und die Gesellschaft nachhaltig verändern will, muss er vor allem eines tun: intersektionaler werden. In der Vergangenheit standen oft die Interessen und Kämpfe weißer Frauen im feministischen Fokus – die Anliegen von BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) gerieten dabei in den Hintergrund. Im Englischen gibt es dafür den Begriff „white feminism“: ein Feminismus, der auf den Erfahrungen einer bestimmten Gruppe von Frauen basiert, meist weißen, heterosexuellen und körperlich gesunden Frauen aus der Mittelschicht. Intersektional zu denken bedeutet, sich beim Thema Gleichberechtigung nicht ausschließlich auf den Faktor Geschlecht zu konzentrieren. Denn soziale Kategorien wie Gender, Ethnizität, soziokulturelle Herkunft oder Alter überschneiden sich in der Lebensrealität vieler Menschen. Sie können und sollten daher nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Es geht um Mehrfachdiskriminierung, darum, zu analysieren, wie unterschiedliche Formen von Diskriminierung, Ungleichheit und Differenz zusammenwirken. Eine lesbische Frau beispielsweise macht andere Erfahrungen mit Diskriminierung als eine heterosexuelle Frau, eine schwarze Frau andere als eine weiße Frau, eine Frau mit körperlicher Behinderung andere als eine körperlich gesunde Frau.

Den Blick auf das große Ganze richten

So viel zur Theorie. Doch was bedeutet Intersektionalität in der – feministischen – Praxis? Vor allem Selbstreflexion. Es geht um die Frage: Welche Privilegien habe ich und inwiefern machen sie mich blind für die Probleme und Anliegen anderer? Und wie kann ich meine Privilegien nutzen, um andere Menschen zu unterstützen? Manchmal bedeutet das, lauter zu sprechen, um die Stimmen anderer zu verstärken; und manchmal, leiser zu sprechen, damit die Stimmen anderer besser gehört werden. Es kann bedeuten, sich auf eine Bühne zu stellen; aber auch, im Zweifelsfall anderen die Bühne zu überlassen. Insbesondere bedeutet es anzuerkennen, dass es keine feministische „One size fits all“-Lösung gibt, nicht die eine Maßnahme oder Antwort, die allen hilft.

Ein Feminismus, der es ernst meint, setzt sich dafür ein, dass alle Menschen die gleichen Rechte und Freiheiten haben, und zwar unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität und ihrem Körper. Er richtet seinen Fokus nicht ausschließlich auf die Kategorie „Geschlecht“ und tritt deshalb immer auch gegen Rassismus, Homophobie, Antisemitismus, Behindertenfeindlichkeit, Transphobie und andere Formen der Diskriminierung ein. Diesen Feminismus brauchen wir. Nicht die Feel-Good-Variante. Weil ein T-Shirt mit feministischem Slogan nicht schadet, allein aber auch nichts verändert. Weil schon viel erreicht wurde, aber noch so viel zu tun bleibt. Feminismus ist kein Trend, er ist nichts, was sich kaufen lässt. Er ist eine Notwendigkeit. Wir brauchen Feminismus, um den Blick auf das große Ganze zu richten. Darauf, wie Macht und Privilegien in unserer Gesellschaft verteilt sind. Wir brauchen Feminismus, weil wir immer noch kämpfen müssen. Für gleiche Bezahlung, Chancengleichheit und die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen – und gegen Sexismus, tradierte Geschlechterrollen, unrealistische Schönheitsideale und sexualisierte Gewalt. Feminismus muss genau hinschauen und den Finger in die Wunde legen. Er muss nerven, anstrengend sein. Aber: Er muss auch träumen. Er muss Visionen davon aufzeigen, wie es sein könnte, wenn unsere Gesellschaft gerechter wäre, fairer. Das Beste: Wir alle können und dürfen mitträumen.

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Julia ist Journalistin, Autorin und Speakerin. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Politik und Popkultur aus feministischer Perspektive.

Foto: ©Caroline Prange

Fotografin aus Leidenschaft. Wenn sie jemand fragt was bedeutet für dich Glück, sagt sie: „Nicht einschlafen können, weil ein neues Projekt vor meinen Augen erscheint und es mir in den Fingern kribbelt, weil ich es sofort ausarbeiten und verwirklichen möchte."

Foto: ©Felicitas Jander

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