Angst vorm Schwarzen Peter?!

Schaupieler:innen of Color als Identifikationsfiguren eines deutschen Publikums

Berlin. Anfang der neunziger Jahre: Jeden Nachmittag, nach der Schule, gab es einen wichtigen Termin mit dem Privatfernsehen: Zwischen „Bonanza“ und „Baywatch“ lief „Star Trek – Das nächste Jahrhundert“. Ich wollte und durfte diese Zukunft nicht verpassen, in der es völlig normal war, dass Lebewesen unterschiedlichster Herkunft, Hautfarbe und Ohrenform gemeinsam das Unbekannte suchen und erforschen. Man musste sich im Kosmos der „Vereinigten Föderation der Planeten“ schon auskennen, wenn man in meinem nerdigen Freundeskreis mitmischen wollte. Überhaupt hatten wir kaum andere Themen als die neusten Lifehacks von „MacGyver“ auszuprobieren und paranormale Aktivitäten in unserer Umgebung aufzudecken.

Damals hätte ich nicht zu träumen gewagt, dass ich später selbst mal als Serienfigur einer Next Generation von Kindern und Jugendlichen ein ganz anderes Patchwork-Universum – das einer deutsch-türkischen Mittelstandsfamilie – nahebringen würde.

Zunächst wollte ich Regisseurin werden, am liebsten am Theater. Schon seit Kindergartentagen hatte ich zu jeder Gelegenheit performt, mich mit Videoschnitt und Fotografie beschäftigt. Das Erzählen von Geschichten, das Hineinschlüpfen in Figuren, die ich nicht selbst bin, hat mich schon immer interessiert. Der Austausch, das Lachen, die Gedanken, die man ins Publikum gießt, um Gutes zu bewirken, um nichts weniger als das Leben der Menschen zu verbessern.

Trotz Talent kein Potenzial

Mit 18 machte ich Abi, das war zu jung für das angestrebte Studium. Daher vertrieb ich mir die Zeit mit Philosophie, hing fast täglich in Theaterkantinen ab, sah mir abends viele Stücke an, hospitierte und nahm bald am Betrieb teil. Zeitgleich bewarb ich mich an genau zwei staatlichen Hochschulen für Schauspiel. Bei der ersten Eignungsprüfung sagte man mir, ich sei zwar geeignet, aber leider kein Junge. Bei der Zweiten schaffte ich es bis in die Endrunde: Man habe jedoch bereits eine weitere „Iranerin“ im Blick und wolle nicht so viele „Ausländer“ ausbilden, die dann hinterher arbeitslos seien, weil nicht ausreichend Rollen für Darsteller:innen meiner Hautfarbe und vermeintlichen Herkunft auf deutschen Bühnen vorgesehen seien. Trotz vorhandenem Talent kein Potenzial also!

Wie konnte das sein? Man kann sich auf der Bühne alles vorstellen. Man kann sich einen Wald auf einer Insel inmitten eines gigantischen Ozeans vorstellen. Es gibt Kostüme, Masken, Abenteuer. Menschen sind Tiere und Götter, fliegen durch den Bühnenraum und beschmieren sich über und über mit Blut und schwarzer Farbe, um ihrem Gemüt ein Bild zu geben. Da wird ständig alles neu erfunden. Alles über den Haufen geworfen und neu geboren. Identitäten werden munter verwechselt, hinterfragt und getauscht. Aber jemand wie ich als Goethes „Gretchen“, Shakespeares „Hamlet“ oder Wedekinds „Lulu“ unvorstellbar?!

Alle Fotos: ©Marvin Ruppert

Ab zum Film

Mitte der Nullerjahre entdeckte das deutsche Fernsehen den sogenannten Migrationshintergrund. Anders als in den USA, wo die Migration den Bildern 100 Jahre zuvor das Laufen beigebracht hatte, gab es bei uns bis dato – von Rainer Werner Fassbinders „Angst essen Seele auf“ bis Fatih Akins „Gegen die Wand“ – nur ein gutes Dutzend Filme, in denen „das Fremde“ überhaupt thematisiert wurde. Schauspieler:innen meines Phänotyps wurden händeringend gesucht. In den Schauspielschulen fand man sie ja nicht! Es war also nur eine Frage der Zeit, bis mich eine Agentin ansprach und ich für die ersten TV-Rollen gecastet wurde. Anders als heute nahmen es die Besetzer:innen nicht allzu genau und so spielte ich (von Mexiko über Albanien bis nach Indien) das von Zwangsehe, Prostitution und/oder Abschiebung bedrohte Mädchen. Manche Maskenbildner:innen scheuten sich nicht, mich extra dunkel zu schminken, um eine gewisse Exotik zu betonen. Mein Haupt-Rollenfach war das der „muslimischen Tochter“, was auch immer das in der Phantasie öffentlich-rechtlicher Drehbücher sein sollte und letztendlich auch in meinen Hirnwindungen.

Dass ich gewisse Fähigkeiten „von Hause aus“ mitbrachte, setzte man voraus. Dabei legte ich mich ziemlich ins Zeug, die verschiedenen Sprachen und kulturellen Eigenheiten zu erlernen: Das perfekte Umbinden eines Sari, bühnenreifer Tango Argentino, nord-jemenitischer Dialekt. Es hatte immer ein wenig was von Fasching, war anspruchsvoll und machte mir Spaß. Drei Staffeln der preisgekrönten ARD-Serie „Türkisch für Anfänger“ an der Seite eines tunesisch-österreichischen Bruders ersetzten mir das fehlende Studium. Dort lernte ich ein Handwerk, von dem ich heute noch zehre. Nur wenige Jahre nach meiner Ablehnung an der Schauspielschule konnte ich recht gut von dem Beruf leben. Doch alles in allem hatte es wenig zu tun mit dem, wofür ich angetreten war. Nämlich eben das Erzählen von Geschichten und das Hineinschlüpfen in Figuren, um nichts weniger als das Leben der Menschen zu verbessern.

Und dann kam das „Race Reverse Casting“

Es war niemand Geringeres als Sir Patrick Stewart, der 1997 eine bis dahin unerhörte Casting-Idee umsetzte: Sein ganzes Leben lang hatte er davon geträumt, irgendwann einmal den „Othello“ zu geben. Schließlich verschaffte ihm die Rolle als „Captain Jean-Luc Picard“ des Raumschiffs „Enterprise“ genug Prestige, um den „dunkelhäutigen Feldherren Venedigs“ aus Shakespeares gleichnamiger Tragödie zu verkörpern. Doch er empfand es als nicht zeitgemäß, sich das Gesicht nach gängiger Theaterpraxis schwarz anzumalen. Ob es die Arbeit an der Rolle oder die jahrelange Zusammenarbeit innerhalb eines multi-ethnischen Ensembles war oder er einfach nur ein guter Mensch ist, kann ich nur mutmaßen. Jedenfalls verlangte er – und das konnte er sich als Star erlauben – dass alle weiteren Rollen in „Othello“ mit ausschließlich schwarzen Kolleg:innen besetzt werden, und er als einziger Weißer auf der Bühne steht.

Das „Race Reverse Casting“ war geboren und erstmals in der englischsprachigen Theatergeschichte hatten Schauspieler:innen of Color einen Zugriff auf Rollen, die man bislang nicht für sie vorgesehen hatte. In einer Schlüsselszene des Dritten Akts, in der er seiner dunklen Hautfarbe die Schuld an „Desdemonas“ Untreue gibt, legte Stewart sogar jedes Mal eine bewusst schmerzhaft lange Kunstpause ein, um dem Publikum Gelegenheit für Zwischenrufe zu geben. Die Traditionalisten waren not amused und es entbrannte eine heftige Debatte um Repräsentanz und Rassismus im Theater.

In Deutschland vergehen weitere 15 Jahre, bis ein Blackfacing-Skandal an Dieter Hallervordens Schloßpark-Theater den Ruf nach Diversität und Intersektionalität hervorbringt und post-migrantische Theater sich einigermaßen etablieren.

Auch beim Fernsehen findet seit dem Erstarken internationaler Streaming-Dienste – auch mit Blick auf demographische Veränderungen und mithilfe politischen Aktivismus – ein Umdenken statt: Immer öfter spielen rassifizierte Schauspieler:innen nicht mehr nur die Dealer:innen, Gemüsehändler:innen und Prostituierte im Krimi, sondern Kommissar:innen, Staatsanwält:innen, Politiker:innen, die hochdeutsch sprechen und noch dazu neutral-deutsche Namen tragen. Offenbar will man einem „alteingesessenen“ Publikum den Übergang in diese neue Zeit so sanft wie möglich gestalten.

Kult und schlechter Humor sind jetzt Geschichte?

Betritt man heute eine staatliche Schauspielschule, begegnet man ganz anderen Strukturen, einem diverseren Bild. Alte Zöpfe scheinen abgeschnitten. Die Student:innen sind unterschiedlicher Hautfarbe und Orientierung, strotzen vor Kraft und Schönheit und können sich selbstverständlich nicht vorstellen, warum ausgerechnet sie keine Identifikationsfiguren zukünftiger deutscher Narrative sein sollten. 

Ich habe die Hoffnung, dass auch ich in Zukunft Rollen spielen werde, in denen ich nicht auf mein Aussehen und meine Herkunft reduziert werde, sondern auf mein Können und meine Passion für die Schauspielerei. Und ich freue mich schon richtig darauf!

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Pegah Ferydoni ist eine deutsch-iranische Schauspielerin und Synchronsprecherin. Sie stammt aus einer Künstler:innenfamilie und lebt in Berlin.

Foto: ©Marvin Ruppert

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