Stiftung Verantwortungseigentum

Die utopische Realität

Es ist Montag, 8:31 Uhr. Genauer gesagt: der 8. Juli 2041. Ein ganz normaler Montagmorgen. Du stehst auf, weil du ausgeschlafen bist, die Sonne dich weckt oder deine Kinder auf dir rumturnen – und nicht, weil der Wecker dich rausklingelt. Du entscheidest dann, nach einem ausgedehnten Frühstück mit Zeitungslektüre, ob du heute zu Hause arbeitest, ins Café gehst oder doch ins Büro zu deinen Kolleg:innen. Du kannst auch einfach entscheiden, gar nicht zu arbeiten. 

Meistens möchtest du aber arbeiten. Nicht für das Geld. Du bekommst nämlich genügend, um finanziell völlig unabhängig zu sein und zwar ohne ständige Leistungsbeurteilungen und irrsinnige Jahresgespräche. Meistens möchtest du arbeiten, weil dein Unternehmen auch dir gehört und du damit genau weißt, für wen du arbeitest. Meistens möchtest du arbeiten, weil du auf der Arbeit als Mensch mit all seinen individuellen Bedürfnissen,wahrgenommen wirst. Das Unternehmen richtet sich nach dir aus und nicht umgekehrt. Meistens möchtest du arbeiten, weil du das Gefühl hast, bei der Arbeit etwas zu lernen und persönlich zu wachsen. Meistens möchtest du arbeiten, weil es sich eben nicht nach klassischer 9 to 5-Arbeit anfühlt, sondern nach einem wichtigen und erfüllenden Teil deines Lebens. Wenn man bedenkt, dass man einen zweistelligen prozentualen Teil seines Lebens auf der Arbeit verbringt, kann das ja nicht zu viel verlangt sein.

 

Eine großartige Utopie

Wie wir alle wissen, sieht die Arbeitswelt doch etwas anders aus. 69 Prozent der deutschen Arbeitnehmer:innen machen nur Dienst nach Vorschrift. 16 Prozent haben schon innerlich gekündigt, und gerade mal 15 Prozent fühlen sich ihrem Unternehmen verbunden. 

Seit 1997 hat sich die Zahl der Krankschreibungen, die durch psychisches Leiden verursacht wurden, verdreifacht. Der häufigste Grund, warum Arbeitnehmer:innen krank geschrieben werden, ist übrigens eine Depression. Jede:r 18. Arbeitnehmer:in fällt demnach aufgrund von psychischen Problemen zeitweise aus, das sind hochgerechnet etwa 2,2 Millionen Arbeitnehmer:innen in Deutschland. Eine Studie unter britischen Arbeitnehmer:innen ergab, dass ganze 37 Prozent denken, dass sie einen sogenannten Bullshit-Job ausüben, also eine Arbeit ausführen, die keinen Sinn hat und eigentlich nicht gebraucht wird.

Dass ihre Arbeit für eine gerechtere Welt sorgt, davon können die meisten Arbeitnehmer:innen nur träumen. Nie klaffte die Schere zwischen Reich und Arm so weit auseinander. Inzwischen besitzen 26 einzelne Menschen so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Auch dem Anspruch, unseren Planeten für unsere Kinder und Enkelkinder zu erhalten, können die meisten Arbeitnehmer:innen nicht genügen, weil unser Wirtschaftssystem und damit auch die meisten Arbeitgeber:innen immer noch dem Credo von Milton Friedman – Alles für den Aktionär – folgen, mit katastrophalen Folgen für Mensch und Natur.

 


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Kann man die Wirtschaft unfucken?

Die Antwort ist Jein. Im kleinen Unternehmenslabor einhorn products, welches ich vor sechs Jahren mitgegründet habe, konnten wir schon ganz gut beweisen, dass es geht. Die Frage ist jetzt, ob wir das auch auf die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft übertragen können. Habt ihr Lust, es herauszufinden? Laut einer Studie von Erica Chenoweth braucht es gerade einmal 3,5 Prozent der Bevölkerung für eine Revolution. Bei knapp 45 Millionen Arbeitnehmer:innen in Deutschland wären das 1,6 Millionen Menschen. Das ist zu schaffen! Welcher Zeitpunkt wäre besser, die Wirtschaft neu aufzustellen.

Aber wie könnte diese Utopie gelingen? Denn bisher ist die Idee einer solchen Arbeitswelt noch eine Utopie. Ein möglicher Ansatz des Umdenkens bezieht sich auf die Eigentumsform von Unternehmen. Bei einhorn haben wir bereits umgedacht – und unser Start-up in Verantwortungseigentum aufgestellt. Das bedeutet, dass das Unternehmen quasi sich selbst gehört. Das ist bei herkömmlichen Unternehmensformen nicht so. Ob GmbH, AG oder KG – jede Firma gehört klassischerweise mit allem, was dazugehört, ihren Eigentümer:innen. Denn das deutsche Gesellschaftsrecht behandelt Unternehmen wie eine Ware. Eine Ware, die die Eigentümer*innen jederzeit verkaufen und mit der sie persönliche Profite machen können. Aktien sind das beste Beispiel. Einmal an der Börse, zählt oft nur noch der Shareholder Value. Entscheidungen werden dann oftmals so getroffen, dass sie möglichst die Aktionär*innen, also die Eigentümer*innen glücklich machen, indem Dividenden fließen. Schnelle Gewinne zählen, der Sinn und Zweck des Unternehmens wird zweitrangig. Bei Verantwortungseigentum ist das anders. Gewinne und das Unternehmensvermögen verbleiben per se im Unternehmen und können nicht zum persönlichen Nutzen der Eigentümer:innen ausgeschüttet werden. Und die Kontrolle über das Unternehmen verbleibt ebenfalls immer bei Menschen, die mit dem Unternehmen verbunden sind. Es kann also niemand einfach viel Geld auf den Tisch leben, das Unternehmen aufkaufen und so die Kontrolle übernehmen, um dann Gewinne abzuziehen. Die Firma kann nicht mehr als Spekulationsgut verkauft werden. Bei einhorn bestimmt auf dieser Basis niemand anderes als die Mitarbeiter:innen selbst über das Unternehmen. Keine Bank, keine Investor:innen, wirklich niemand. Wir haben uns befreit von jeglichen Wachstums-, Gewinn- oder Exit-Zwängen. Und die Früchte unserer Arbeit können so viel gerechter im Unternehmen und der gesamten Wertschöpfungskette verteilt werden.

 

Foto: ©Stiftung Verantwortungseigentum

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Verantwortungseigentum als Hebel

Bei einhorn leben wir die Utopie also schon weitestgehend. Und wir sind nicht allein: Insgesamt gibt es in Deutschland mindestens 200 Unternehmen in Verantwortungseigentum, die insgesamt mehr als 1,2 Millionen Menschen beschäftigen. Darunter sind auch viele bekannte Namen: Bosch beispielsweise, Zeiss und der Autozulieferer Mahle. Oder auch Alnatura, das ökologische Versandhaus Waschbär und die grüne Suchmaschine Ecosia. Sowohl für den Mittelstand, also klassische Familienunternehmen, als auch für werte-orientierte Start-ups bringt Verantwortungseigentum immense Vorteile mit sich. Denn immer mehr Mittelständler finden keine Nachfolger:innen mehr in der Familie. Sie müssten ihr Lebenswerk verkaufen – auch wenn sie das in der Regel gar nicht wollen! Mit Verantwortungseigentum tut sich aber eine neue Option auf, denn man kann das Unternehmen an diejenigen weitergeben, die dafür am besten geeignet sind. Innerhalb einer Werte-Familie sozusagen. Ohne Blutsverwandtschaft, ohne Verkauf. Denn das Unternehmen gehört sich ja selbst. Und Start-ups, die gleich in Verantwortungseigentum gründen, können ihren Kund:innen, Mitarbeiter:innen und der Gesellschaft rechtlich verbindlich versprechen: Wir sind nicht auf das schnelle Geld aus, auf den gewinnbringenden Exit, sondern wir bleiben unserer Mission treu. Wir wollen etwas bewegen, wir wollen die Welt verbessern. Denn Verantwortungseigentum sorgt dafür, dass die Gewinne immer dem Unternehmen und seiner Mission dienen. Und nicht dem persönlichen Reichtum der Eigentümer*innen. Das zahlt übrigens nicht nur auf die soziale und ökologische Komponente ein, sondern auch auf die wirtschaftliche! Denn auf zunehmend werte-sensiblen Märkten werden Sinnorientierung und Nachhaltigkeit immer wichtiger – und versprechen auch größeren wirtschaftlichen Erfolg.   

 

Wir brauchen eine neue Rechtsform!

Der kleine Haken daran: Der Weg zu Verantwortungseigentum lässt sich bislang nur umständlich über Umwege beschreiten. Große Unternehmen wie Bosch, Zeiss oder Alnatura haben komplexe und teure Stiftungsstrukturen aufgebaut. Das können kleine und mittlere Unternehmen gar nicht stemmen. Wir mussten mit einhorn daher eine Art rechtlichen Hack vornehmen – mit Hilfe der Purpose-Stiftung, die sich darauf spezialisiert hat. All diese Umwege sind nötig, da es im deutschen Gesellschaftsrecht keine eigene Rechtsform gibt, mit der Unternehmen Verantwortungseigentum rechtssicher klipp und klar umsetzen können. Wie schon beschrieben: Das Gesellschaftsrecht betrachtet Unternehmen immer als eine Ware.

Gemeinsam mit mehr als 1.200 weiteren Unternehmer:innen kämpfen wir deshalb dafür, dass sich das ändert. Wir fordern von der Bundesregierung eine neue Rechtsform für Verantwortungseigentum: eine Gesellschaft mit gebundenem Vermögen. Nach vielen Jahren voller Überzeugungsarbeit in der Politik steht dieser Traum nun kurz vor der Erfüllung. Die Grünen haben die Forderung nach einer neuen Rechtsform in ihr Wahlprogramm aufgenommen [Anmerkung der Redaktion: Der Artikel erschien zum ersten Mal in der Print-Ausgabe des DEMOS MAG im August 2021.], die SPD verspricht die rechtlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. Die FDP hat unser unternehmerisches Bedürfnis erkannt und will prüfen, wie dem rechtlich Rechnung getragen werden kann. Und auch Teile der Union stehen dem Thema offen gegenüber.

 

Robert Habeck, Politiker
Robert Habeck bei der Veranstaltung zur neuen Rechtsform "Verantwortungseigentum". Foto: ©Stiftung Verantwortungseigentum

Man kann sich kaum ausmalen, was passieren würde, sollte die neue Rechtsform nach der Wahl kommen – und sollten sich dann beispielsweise die zukünftigen Facebooks, Apples, Amazons und Teslas für  diese Eigentumsstruktur entscheiden. Ich bin überzeugt: Wenn die Gewinne von Unternehmen nicht einzelnen, sondern dem Unternehmen als Ganzes und damit allen dienen, wird auch insgesamt ein Umdenken einsetzen. Verantwortungseigentum ist ein wunderbarer Hebel dafür. Es geht darum, die Wirtschaft nachhaltiger und gerechter zu gestalten. Das darf keine Utopie sein, sondern muss Realität werden.

 

#neuerechtsform

Der Startschuss der großen Initiative für eine #neuerechtsform war Anfang Oktober 2020, als in Berlin ein Aufruf an die Bundesregierung übergeben wurde, in dem schon damals 600 Unternehmer:innen und 100 weitere Persönlichkeiten die Einführung einer neuen Rechtsform gemäß den Prinzipien des sogenannten Verantwortungseigentums forderten. Mittlerweile ist die Zahl der Unterzeichner:innen auf rund 2.000, darunter mehr als 1.200 Unternehmer:innen, angestiegen. Verantwortungseigentum bezeichnet eine Eigentumsform an Unternehmen, bei der die Kontrolle über das Unternehmen immer bei Menschen liegt, die mit dem Unternehmen verbunden sind (Prinzip der Selbstbestimmung), und bei welchem Gewinne stets reinvestiert werden, also dem Unternehmenszweck zugute kommen, oder gespendet werden (Prinzip der Vermögensbindung). Ob Start-up oder Mittelstand: Unternehmen in Verantwortungseigentum können nicht zur persönlichen Bereicherung verkauft oder von unternehmensfernen Personen kontrolliert und damit fremdbestimmt werden. Bislang lassen sich diese Prinzipien aber nicht absolut rechtssicher in der DNA eines Unternehmens verankern, nur über Umwege ist das möglich. Deshalb haben fünf namhafte Rechtsprofessor:innen und ein Steueranwalt einen Gesetzentwurf ausgearbeitet: für eine sogenannte “Gesellschaft mit gebundenem Vermögen” (GmgV). Der Vorschlag knüpft an das GmbH-Gesetz an und liegt dem Bundesjustizministerium, dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesfinanzministerium vor, die ihn derzeit prüfen. Wird die GmgV in der nächsten Legislaturperiode Gesetz, wäre dies nicht nur für tausende werte-orientierte Start-ups eine zukunftsträchtige Option, sondern auch für unzählige Familienunternehmen und Mittelständler – die derzeit mit einer veritablen Nachfolgeproblematik zu kämpfen haben. Laut einer repräsentativen Allensbach-Umfrage im Auftrag der Stiftung Verantwortungseigentum befürworten 72 Prozent der Mittelständler die Einführung einer neuen Rechtsform. 42 Prozent können sich vorstellen, sie zu wählen.

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Einige von euch kennen Waldemar vielleicht schon als Mitgründer des Berliner Start-ups einhorn. Er setzt sich als Autor und Unternehmer für neue Werte, eine neue Wirtschaft und ein besseres Leben für alle ein.

Foto: ©Anne Hufnagl

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