Vom Recht umgeben
Rechtliche Regelungen als Leitplanken der Gesellschaft
Wo begegnet dir Recht im Alltag? Wenn ich einer Person diese Frage stelle, blicke ich meistens erst einmal in ein langes Gesicht. „Puh, keine Ahnung, lass mich mal überlegen. Auf dem Amt? Bei der Polizei? Im Gericht?“ Dabei ist die Antwort recht einfach: überall.
Es gibt eigentlich keinen Lebensbereich, der nicht von rechtlichen Vorgaben geprägt ist: Über eine Ampel gehen, ein Brötchen kaufen, mit der Straßenbahn zur Arbeit fahren. All das ist rechtlich geregelt. Ein Konto eröffnen, Kindergeld beantragen, Essen gehen, Wohnsitz ummelden, Müllentsorgung, Haustiere haben, ist rechtlich geregelt. Von der Geburt bis zum Tod ist so ziemlich „alles“ rechtlich geregelt, und das ist auch gut so. Wir leben in einer großen und komplexen Welt. Rechtliche Regelungen sind in einer Demokratie und in einem Rechtsstaat die Leitplanken unserer Gesellschaft, die für ein friedliches Zusammenleben sorgen und uns Raum zur freien Entfaltung geben.
„Von der Geburt bis zum Tod ist so ziemlich „alles“ rechtlich geregelt, und das ist auch gut so.“
Genial an einer lebendigen Demokratie – ganz im Gegensatz zu einer Diktatur – ist, dass Recht im Alltag dabei vor allem auch eines heißt, nämlich eigene Rechte zu haben und diese einzufordern: Wählen, Demonstrieren, einem Verein beitreten, eine Kolumne schreiben, den eigenen Glauben ausüben oder all das eben auch nicht zu tun. Über die bestehenden Missstände diskutieren und Besserungsvorschläge machen. Streiten, streiten und noch mal streiten. Im Zweifel vor einem unabhängigen Gericht. Und sich bei all diesem Streit darauf verlassen können, dass sich die anderen an die gleichen „Spielregeln“ halten.
Warum sind solche Antworten also eher selten zu hören, wenn unser Leben doch überall von rechtlichen Regeln durchflutet ist? Wieso scheint Recht so lange unsichtbar, bis es uns einschränkt oder uns gar Unrecht geschieht – beispielsweise bei abgelehnten Anträgen auf dem Amt, der polizeilichen Kontrolle, beim Knöllchen oder bei einem Rechtsstreit?
Wer sitzt schon zu Hause und denkt sich: „Wahnsinn, ich darf morgen spontan und ohne Visum nach Spanien in den Urlaub fahren, mich online fürchterlich darüber aufregen, wie frustriert ich mit der aktuellen Energiepolitik bin, Schilder für eine Demo gegen die geltende Maskenpflicht basteln und eine Partei wählen, die teilweise vom Verfassungsschutz beobachtet wird.“
Das Problem bei dieser einseitigen Wahrnehmung ist: Recht ist nicht einfach da, als abstraktes Gebilde, um das sich irgendjemand kümmert, sondern muss ständig von allen Teilnehmenden der Gesellschaft gelebt und weiterentwickelt werden. Und wenn es „nur“ der Gang zu den Wahlurnen ist. Dass Recht gänzlich zu Unrecht wird, geschieht nicht unbedingt über Nacht mit einem lauten Knall, der sich auf den Alltag der Mehrheit auswirkt, sondern eher langsam und schleichend, über viele Fehler, die passieren, weil es eben Menschen sind, die über Recht entscheiden und Recht durchsetzen oder eben nicht – das zeigt uns die Geschichte. Und auch über Diskurse, die sich verschieben, das Unsagbare sagbar machen, Desinteresse erzeugen und die vermeintliche Mehrheit sich ganz plötzlich als Minderheit wiederfindet.
Recht begegnet uns überall im Alltag als begrenzender und Freiheit garantierender Rahmen es ist zugleich persönlicher Schutz und kollektive Verantwortung.
Das ist anstrengend und eine nicht endende Beziehungsarbeit, wenn wir ehrlich sind. Aber sich dieser vielseitigen Beziehung bewusst zu sein, ist essenziell, um dann gemeinsam in die inhaltliche Debatte zu gehen und sich den Themen zu stellen, die relevant sind:
„Was läuft gut und schlecht? Was muss eine Demokratie alles aushalten? Wer hat Zugang zu den Instrumenten im Rechtsstaat? Wer kann es sich leisten, teilzuhaben? Wie steht die „Mehrheit“ von heute für den Schutz von Minderheiten ein, weil sie in einer lebendigen Demokratie morgen auch die Minderheit sein könnte?“
Für all diese großen Fragen gibt es keine einfachen Antworten. Und um nachhaltige Lösungen zu finden, braucht es vielfältige Räume und Gelegenheiten, im Gespräch zu bleiben, die Perspektiven der anderen wahrzunehmen und die gemeinsamen Kompromisse zu schließen, die dafür notwendig sind.
Wenn wir daran bewusst festhalten und diese Beziehung kultivieren, häuft sich dadurch vielleicht auch mal folgende Antwort auf die Eingangsfrage:
„Recht begegnet mir im Alltag überall. Und meine Rechte zum Glück auch.“
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