Israel

Quo vadis Israel?

Eine fragile Demokratie vor dem Kollaps?

Mit keinem anderen Staat im Nahen Osten unterhält Deutschland so enge Beziehungen wie mit Israel. Dies wird häufig auch mit geteilten demokratischen Werten begründet. Doch wie sieht die Situation unter der neuen rechts-religiösen Regierung wirklich aus?

Jahrzehntelang war die deutsche Außenpolitik im Nahen und Mittleren Osten vom Bild Israels als einzige Demokratie in dieser Region geprägt. Aber ist sie das wirklich? Die 37. israelische Regierung besteht aus verurteilten Straftäter:innen, Homophoben und Politiker:innen, die die expansive Besatzungspolitik um jeden Preis fortführen werden. Der prominente israelische Historiker und Publizist Tom Segev warnt vor der neuen Koalitionsregierung in Jerusalem. Diese sei „gefährlicher als frühere Allianzen“.

Einen ersten Hinweis liefert ein Tweet nach dem erneuten Amtsantritt von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu. In dem heißt es: „Dies sind die Grundlinien der von mir geleiteten nationalen Regierung: Das jüdische Volk hat ein exklusives und unbestreitbares Recht auf alle Gebiete des Landes Israel. Die Regierung wird die Besiedlung in allen Teilen des Landes Israel fördern und entwickeln – in Galiläa, Negev, Golan, Judäa und Samaria.“

Ziel ist es, sich abzuschotten und einen Gottesstaat zu errichten. Was mit den Palästinenser:innen in den Gebieten passiert, in denen das exklusive Recht des jüdischen Volks ausgerufen wurde, ist in der Koalitionsvereinbarung nicht geregelt. So kommt die Frage auf, ob es eine Annexion der West Bank geben wird. Eine Annexion ohne offizielle Erklärung und Gesetze, wodurch eine Eskalation und bürgerkriegsähnliche Zustände vorprogrammiert sind.

Kontroverse „Justizreform“ in Israel

Hinzu kommt die Sorge, dass Koalitionspartner die Macht des Obersten Gerichtshofs limitieren und demokratische Räume schwächen wollen. Unter einer sogenannten „Justizreform“ soll die Gewaltenteilung faktisch aufgehoben werden. Das Oberste Gericht könnte demnach zwar zuvor beschlossene Gesetze verwerfen, das Parlament diesen Beschluss aber mit absoluter Mehrheit wieder aufheben. So können ebenso Gesetze beschlossen werden, die den grundlegenden Gesetzen Israels widersprechen. Die Regierung sieht in dem Obersten Gericht eine tendenziell liberale Instanz, was sich in den Urteilen zur Besetzung des Westjordanlands manifestiert. Kurz gesagt: zu viel Appeasement der Richter gegenüber den Palästinenser:innen. Dazu kommt, dass Ministerpräsident Netanyahu selbst für vermutlich begangene Korruptionsdelikte angeklagt ist und eine Schwächung der Justiz ihm zugutekommt. Aber wie sollen Menschenrechte und die Rechte der Minderheiten unter diesen Bedingungen geschützt werden? Rutscht Israel in die pseudodemokratische Theokratie ab oder sind nun die Masken endgültig gefallen?

Zumindest scheint es so. Die Azrieli Group, der viele der Einkaufszentren des Landes gehören, hat sich vor einigen Tagen geweigert, eine Anzeige der Zeitung Haaretz auf der Fassade des zentralen Azrieli-Einkaufszentrums in Tel Aviv zu veröffentlichen, bevor sie die Entscheidung kurz darauf wieder zurückgenommen hat. Die Anzeige für die Zeitung zeigte den einfachen Satz „Demokratie endet nicht mit Wahlen“ auf blauem Hintergrund.

Demokratiebegriff nach Beck

Auch in der Wissenschaft wird die Frage der Demokratie kontrovers diskutiert. Eine genaue Antwort hängt natürlich vom zugrunde gelegten Demokratiebegriff ab. Prof. Dr. Martin Beck zufolge und aus Sicht eines minimalistischen Demokratiebegriffs, der sich auf wenige Kernkriterien wie die Meinungs- und Organisationsfreiheit sowie das Recht zu wählen beschränkt, hat der jüdische Staat diesen Titel 1967 verloren. Die fortgeführte Besatzung und damit verbunden die Vorenthaltung staatsbürgerlicher Rechte für einen großen Teil der Bevölkerung unter israelischer Kontrolle (etwa fünf Millionen Palästinenser:innen) sind politische Realität. Symbolisch äußerte sich das nicht zuletzt auch dadurch, dass unter der neuen Regierung die palästinensische Fahne aus der israelischen Öffentlichkeit verbannt wurde. Itamar Ben-Gvir teilte mit, er habe die Polizei angewiesen, das Verbot des Zeigens von PLO-Fahnen im öffentlichen Raum durchzusetzen. Eine solche Fahne demonstriere eine Identifikation mit einer terroristischen Organisation. Israel stellte die palästinensische Fahne früher mit der militanter Gruppen wie der Hamas oder der Hisbollah gleich. Nachdem Israel und die Palästinenser jedoch die Osloer Abkommen unterzeichnet hatten, wurde die Fahne als die der Palästinensischen Autonomiebehörde anerkannt.

Sanktionen und illegaler Siedlungsbau

Doch auch gegen die Palästinensische Autonomiebehörde wurden unter der neuen Regierung weitere Strafmaßnahmen angekündigt – unter anderem will die israelische Regierung den Palästinensern 39 Millionen Euro vorenthalten. Der Grund war, dass die UN-Vollversammlung zugestimmt hatte, die seit 1967 andauernde israelische Besatzung palästinensischer Gebiete durch den Internationalen Gerichtshof untersuchen zu lassen. Die UN-Vollversammlung stimmte Ende Dezember mehrheitlich dafür. Israel drohte daraufhin Palästina mit Strafmaßnahmen und warf dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas „diplomatischen Terror“ vor. Nachdem sich eine große Anzahl der Länder eindeutig gegen diese Haltung positionierte, hat sich nun auch die deutsche Bundesregierung dazu geäußert. Sie plädiert für juristische Prinzipien. Eine unerwartete Reaktion, wenn man bedenkt, dass Deutschland zuerst zu den 26 Ländern gehörte, die in der erwähnten UN-Vollversammlung gegen den Antrag einer juristischen Prüfung zur israelischen Besatzung stimmte.

Während der rechtsextreme Zug das israelische Rechtssystem im Land überrollt, steht Deutschland etwas ratlos als ehemaliger Ally da. Die Sicherheit Israels ist, so sagte es die frühere Bundeskanzlerin Merkel, „Staatsräson“. Das bedeutet auch, dass der Staat von innen gegen die rechtsextreme Gefährdung geschützt werden muss. Israel steht als Staat nicht mehr für alle seine Bürger:innen und droht dabei von innen zu zerreißen, von den außenpolitischen Gefahren in der Region ganz zu schweigen. Wer um die Sicherheit und die bereits fragile Demokratie Israels besorgt ist, muss daher in diesen Tagen und Wochen auf die Bewahrung der liberalen Demokratie und des Rechtsstaates dringen. Der Siedlungsbau ist dabei „nur“ ein gefährliches Symptom. Will die Bundesregierung an einer verhandelten Konfliktlösung festhalten, sollte sie international konzertiert Druck auf Israel ausüben, um diese Pläne aufzuhalten. Die Zivilgesellschaft setzt bereits mit Hunderttausenden Demonstranten ein Zeichen, nun ist die internationale Gemeinschaft gefordert, dass sie eine Perspektive zur Konfliktbeilegung einfordern!

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Rameza Monir ist freie Journalistin und schreibt vor allem über Rassismus, extreme Rechte, Religion und Social Media. Sie hat Politikwissenschaften und Soziologie an der Universität Tübingen studiert. Rameza ist in der kommunalen Integrationskommission und setzt sich ehrenamtlich für den interreligiösen Dialog ein.

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