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Jüdischsein lässt sich christlich nicht begreifen

Das Judentum gilt als die älteste der drei abrahamitischen Religionen, aus der Islam und Christentum hervorgegangen sind, und doch haben die wenigsten Menschen verstanden, wie das Judentum funktioniert. Woran das liegt? An der christlichen Dominanzgesellschaft.

Was bedeutet es, jüdisch zu sein?

Aber was bedeutet es überhaupt, jüdisch zu sein? Die Halacha, also das jüdische „Gesetz“, legt fest, dass jede Person, die von einer jüdischen Mutter geboren wurde, jüdisch ist. Es ist also von Geburt an festgelegt: Wer jüdisch geboren wird, der bleibt es ein Leben lang. So weit, so gut. Aber was heißt das jetzt genau? Muss man jeden Freitag zum Shabbat in die Synagoge, koscher essen und den 613 Geboten und Verboten des Judentums folgen? Nein, oder auch ja, denn die Entscheidung liegt in der Regel ganz bei dir. Die Mehrheit der jüdischen Menschen lebt „säkular“, was bedeutet, in ihrem Leben spielt der jüdische Glaube keine große Rolle. Säkularität ist in diesem Fall aber ein Spektrum – eine*r lebt den Glauben absolut nicht aus, ein:e andere:r lebt das Judentum über die Traditionen aus. Das bedeutet, dass beispielsweise die wichtigsten Feiertage auf irgendeine Art und Weise begangen werden. 

Ich selbst bezeichne mich zum Beispiel als agnostische Jüdin. Ich glaube daran, dass eine nicht näher definierte größere Macht in der Welt existiert, aber nicht an „den G*tt“-. Hier liegt weniger das Judentum als Glaube im Zentrum, sondern mehr die Aufrechterhaltung der Traditionen. Zu wissen, wo der Ursprung der Feste liegt, und sie im Kreise geliebter Menschen zu begehen – das ist, was mein Judentum für mich ausmacht, und dazu braucht es keinen regelmäßigen Gang in die Synagoge. 

Die Sache mit der christlichen Dominanzgesellschaft

Aber genau das ist es, was hier in Deutschland zu massiver Verwirrung führt, obwohl es vielen Menschen, die sich selbst als Christ:in bezeichnen, ja eigentlich genauso geht. Trotzdem fragen sie sich, wie sich eine Person als Jüdin bezeichnen kann, wenn sie den jüdischen Glauben nicht auslebt? Das liegt wohl daran, dass in Deutschland und den meisten westlichen Ländern das Christentum die dominierende Religion ist und somit die Denkweise und das Verständnis von Religion stark prägt. In Deutschland merkt man das besonders deutlich an der Sonntagsruhe, den Feiertagen und den vielen Kirchen, deren Glockengeläut regelmäßig daran erinnert, dass Deutschland ein christliches Land ist. Dieser Einfluss ist so stark, dass andere Religionen darin untergehen. Besonders um Weihnachten herum, wenn die Weihnachtsmärkte öffnen und alles weihnachtlich dekoriert ist, wird man als nicht-christliche Person vergessen. Dann herrscht die allgemeine Annahme, dass jede:r in Deutschland Weihnachten feiert und an Nikolaus etwas im Schuh hat. 

Abseits des Religionsunterrichts werden andere Religionen und deren Gebräuche im alltäglichen Leben kaum thematisiert, in Medien findet kaum eine oder wenn, dann eine  veraltete Repräsentation statt. Das alles zusammen führt meines Erachtens zu der Annahme, dass alle anderen Religionen mit dem Christentum vergleichbar sein müssen.

Chanukka ist das „jüdische Weihnachten“, Pessach das „Jüdische Ostern“ …  Aber der Vergleich ist aus vielerlei Gründen unpassend, auch weil das Judentum deutlich älter als das Christentum ist. Zudem ist das Christentum auch keine Ethnoreligion. Man kann das Judentum nicht mit ihm vergleichen. Dieser Vergleich ist es aber, der ein wesentlicher Baustein des Weltverständnisses nicht-jüdischer Menschen darstellt – meine Antwort: Error 404Vergleich not found. 

Aber wie begegnen wir dem Problem? Wie schaffen wir es, dass nicht-jüdische Menschen in Deutschland das Judentum begreifen? Dafür müssten sich die Menschen von ihrem christlich geprägten Weltbild lösen und verstehen, dass das Judentum ein Spektrum ist und eine jüdisch geborene säkulare Person genauso jüdisch ist wie eine streng religiös lebende Person.

Die Entstehung der christlichen Dominanzgesellschaft

Das Bedürfnis, etwas „Unbekanntes“ mit etwas Bekanntem zu vergleichen, ist durchaus verständlich, aber in diesem speziellen Falle ist es auch ein Fettnäpfchen, das nur darauf wartet, dass jemand hinein tritt. Denn die christliche Dominanzgesellschaft etablierte sich nicht von heute auf morgen, sie ist vielmehr das Ergebnis von Kolonialisierung. Als die Römer das Christentum übernahmen, löste das mehrere Kettenreaktionen aus. Das Christentum gewann an Macht und begann, mehr Anhänger:innen sowohl um sich zu scharen, als auch gewaltsam zu bekehren. Immer mehr Herrscher entfachten gewaltsame Konflikte und Kriege im Namen des Christentums und je weiter das Christentum wuchs, desto mehr wuchs auch die Mission, das Reich von „Ungläubigen“ (in der Regel religiöse Minderheiten wie Jüdinnen:Juden) zu reinigen und diesen die Schuld an allen möglichen Schicksalsschlägen zu geben. Kurzer Einschub an dieser Stelle, warum das Judentum vergleichsweise „klein“ war und ist: Ein Übertritt zum Judentum ist zwar möglich, aber nicht gerade einfach. Es erfordert sehr viel Zeit und Geduld, und bevor der Prozess der Konversion beginnen kann, muss man einige Male von diversen Rabbiner:innen abgewiesen werden. Damit soll der Wille der Person, die übertreten möchte, geprüft werden. Kehrt sie nach mehrmaligem „Nein“ wieder, ist der Wunsch nach dem Übertritt ernst. Zum Islam oder Christentum zu konvertieren ist wesentlich einfacher. Zurück aber zum eigentlichen Thema, die Befreiung von „Ungläubigen“ hatte in der Geschichte mehrfach Höhepunkte, die in Massenmord an jüdischen Menschen endete. Angetrieben durch den Mythos, jüdische Menschen hätten Jesus ermordet, fanden die spanische Inquisition, die Kreuzzüge und viele weitere Pogrome statt, denen jüdische Menschen zum Opfer fielen.

Die Rolle der evangelischen Kirche

Einige könnten an dieser Stelle einwerfen, dass diese Dinge lediglich im Namen der katholischen Kirche geschahen, es müsse differenziert werden. Das mag zwar stimmen, aber zur evangelischen Kirche kommen wir jetzt. Die Reformation, vorangetrieben durch Martin Luther, ist ebenfalls nicht frei von Antisemitismus beziehungsweise Antijudaismus. In Luthers Publikationen finden sich eine Vielzahl verleumderischer Aussagen über jüdische Menschen. Interessant ist, dass Luther erst seine judenfeindlichen Aussagen offen publizierte, nachdem er merkte, dass Jüdinnen:Juden sich von ihm nicht missionieren ließen. Dies hatte zur Folge, dass er die „Judenschriften“ veröffentlichte, eine Ansammlung an Texten, in denen er jüdische Menschen als eine „Synagoge des Satans“ und „Blutmänner“ bezeichnete. Letzteres ist ein inzwischen als „Blood Libel“ bekanntes, judenfeindliches Narrativ, das auf der Ritualmordlüge beruht und jüdischen Menschen vorwirft, das Blut christlicher Kinder zu opfern und für rituelle Zwecke zu verwenden. Dieses Narrativ hat sich heute weiter ausgedehnt und ist im Kern immer an der Verbindung von Mord, meistens an Kindern, durch jüdische Menschen erkennbar. Luther steigerte sich so in seinen Judenhass hinein, dass er dazu aufforderte, Synagogen niederzubrennen, die Häuser jüdischer Menschen zu zerstören, jüdische Gebetbücher abzunehmen, Rabbinern das Tora Lehren zu verbieten, indem er mit Todesstrafe drohte, und vieles mehr. Tatsächlich gehen nicht wenige Historiker:innen davon aus, dass der Nationalsozialismus sich stark von Luther „inspirieren“ ließ.

Warum ein Vergleich unpassend ist

Ihr seht also: Judentum und Christentum miteinander zu vergleichen, ist nicht nur unpassend, sondern auch eine Erinnerung an die Gewalt, die jüdische Menschen durch das Christentum erfahren haben und teilweise immer noch erfahren. Denn genauso wenig wie der Antisemitismus nach Ende des Zweiten Weltkrieges in der Gesellschaft verschwunden ist, ist er in geistlichen Kreisen verschwunden, was sich besonders gut an christlich-fundamentalistischen Gruppen erkennen lässt. 

Und die Moral von der Geschicht’… vergleicht uns mit dem Christentum nicht.

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Rachel ist angehende Erzieherin und schreibt hauptsächlich über das Judentum und über jüdisches Leben.

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