Annalena Baerbock

Feministische Außenpolitik

Was ist darunter zu verstehen?

Spätestens seit der Wahl von Annalena Baerbock als Außenministerin ist feministische Außenpolitik ein Begriff, der die Debatte in Deutschland prägt. Was kann man sich unter feministischer Außenpolitik vorstellen und wie könnte die Umsetzung von feministischer Außenpolitik in der Praxis aussehen?

Feministische Außenpolitik bezeichnet ein transformatives Konzept in den internationalen Beziehungen. Als Grundlage dieses Konzepts dient die Analyse globaler und lokaler Machtverhältnisse mit dem Ziel, historisch gewachsene Ungleichheiten zu überwinden und zu bekämpfen. Einen zentralen Faktor, der diese Ungleichheiten bestärkt, stellen die Geschlechtervorstellungen der patriarchalen Gesellschaftsordnung dar, die unser gesellschaftliches Miteinander stark bestimmen. Das Hauptziel von feministischer Außenpolitik liegt darin, die bestehenden Ungleichheiten zu überwinden und dadurch die Sicherheit und den Frieden für alle Menschen herzustellen. Insbesondere für die Schaffung eines nachhaltigen Friedens ist es wichtig, dass feministische Außenpolitik zu einem Wandel des aktuellen Sicherheitsverständnisses führt. Sicherheit – wie wir sie heutzutage kennen – ist geprägt von militärischer Dominanz und Überlegenheit. Ein zentraler Aspekt von feministischer Außenpolitik besteht darin, Entwaffnungs- und Demilitarisierungsprozesse anzustoßen. Ohne ein neues, defensiveres Verständnis von Sicherheit kann das Hauptziel nicht realisiert werden.

Anfänge feministischer Außenpolitik

Erstmals wurde feministische Außenpolitik in Schweden in 2014 durch die ehemalige Außenministerin Margot Wallström eingeführt. Dabei beschrieb sie feministische Außenpolitik als eine Art Werkzeug, um Außenpolitik besser analysieren zu können. In 2018 veröffentlichte sie basierend auf ihren Erkenntnissen kurz vor den damaligen Parlamentswahlen ein etwa 100-seitiges Handbuch mit „Methoden und Erfahrungen“ zum Thema Feminismus und Gleichberechtigung. Dieser dargelegte Aktionsplan konkretisierte erstmalig das schwedische Modell einer feministischen Außenpolitik. Dabei steht das sogenannte 3-R-Konzept im Vordergrund der außenpolitischen Überlegungen. Die 3 R stehen für die Rechte der Frauen, ihrer Repräsentationen und der Zurverfügungstellung von Ressourcen. Unter Rechte der Frauen steht vor allem die Bekämpfung jeglicher Form von Gewalt und Diskriminierung im Zentrum. Diese Rechte werden durch ausreichende Repräsentation von Frauen durch die Einbeziehung in wichtige Entscheidungsfindungsprozesse gewährleistet. Um dies allerdings realisieren zu können, bedarf es eines effektiven Einsatzes von Mitteln, um Gendergerechtigkeit und Chancengleichheit zu erhöhen. Somit liegt der Fokus des schwedischen Modells auf der Förderung der gleichberechtigten gesellschaftlichen und politischen Teilhabe von Frauen. Später hat sich der Adressatenkreis des 3-R-Konzepts auch auf andere gesellschaftlich marginalisierte Gruppen ausgeweitet, sodass die Rechte der LGBTQI+ oder von People of Colour ebenso unter feministischer Außenpolitik geschützt werden.

 

Ursprung feministischer Außenpolitik

Doch das Begehren auf internationaler Ebene für die Gleichberechtigung und die Sicherheit aller Menschen einzustehen, hat sich bereits schon weit vorher abgezeichnet. Bereits 1915 konnte auf dem Internationalen Frauenfriedenskongress der Wunsch nach Gleichberechtigung verzeichnet werden. Vom 28. bis zum 30. April 1915 versammelten sich 1136 Teilnehmer:innen aus zwölf Nationen und formulierten einen Forderungskatalog an die Nationen der Welt, in dem sie demokratische Rechte für alle Länder forderten und die Anwendung von Gewalt gegen Frauen in Konfliktsituationen verurteilten. Aus dem Internationalen Frauenfriedenskongress hat sich vier Jahre später die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) herausgebildet, die bis heute bei den Vereinten Nationen eine wichtige beratende Funktion einnimmt.

Ein weiterer wichtiger Schritt, der eine zentrale Rolle in der Entwicklung der feministischen Außenpolitik spielte, ist die Resolution 1325 „Frieden, Frauen und Freiheit“ des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 30. Oktober 2022. Diese bildet einen verpflichtenden völkerrechtlichen Rahmen für den Schutz der Rechte der Frau und die Einbeziehung der Frau in Friedensverhandlungen, Konfliktschlichtungsbestreben und den Wiederaufbau von Kriegsgebieten. Damit erfüllt die Resolution 1325 primär die Funktion, Frauen in bewaffneten Konflikten neben Schutz die politische Teilhabe auch nach Beendigung des Konflikts einzuräumen, um die Gesellschaft auch nach ihren Bedürfnissen wieder mitgestaltend aufbauen zu können. 

 

Wie gestaltet sich feministische Außenpolitik in Deutschland?

Ein erster Schritt zur Verwirklichung feministischer Außenpolitik in der Bundesrepublik wurde 2019 von dem ehemaligen Außenminister Heiko Maas unternommen, indem er verkündete, die Resolution 1325 der Vereinten Nationen zum Schwerpunkt seiner Außenpolitik zu machen. Dieser Ansatz wurde später in 2021 im Koalitionsvertrag der Ampelregierung aufgegriffen und unter Ziffer VIII wie folgt ergänzt:

Die Ampelkoalition nimmt sich vor, „im Sinne einer Feminist Foreign Policy Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit [zu] stärken und gesellschaftliche Diversität [zu] fördern.“  Als konkrete Maßnahmen werden mehr Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen, die Stärkung der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ genannt.

Die Bestimmungen des Koalitionsvertrags deuten auf eine Anlehnung an das schwedische Modell. Allerdings finden sich im Koalitionsvertrag keine weiteren Ausführungen zu dem genauen Inhalt der feministischen Außenpolitik in Deutschland. Somit bleibt weiterhin unklar, wie feministische Außenpolitik sich konzeptionell und materiell ausgestalten lassen kann. Diese Offenheit in der Umsetzung birgt einerseits den Vorteil, dass es sich an die wandelnden Bedürfnisse der Gesellschaft anpassen lässt. In der ersten Hälfte des Jahres 2023 ist ein Konzeptpapier zu erwarten, das Klarheit schaffen könnte. Nichtsdestotrotz lassen sich Ansätze der feministischen Außenpolitik unter anderen Stichworten im Koalitionsvertrag herauslesen. Für die Rüstungspolitik wird beispielsweise eine abrüstungspolitische Offensive sowie eine stärkere Kontrolle gefordert.

Bislang steht feministische Außenpolitik in Deutschland allerdings in starker Kritik. Dabei steht oftmals im Zentrum der Kritik die Frage danach, ob feministische Außenpolitik in Kriegszeiten überhaupt möglich sei. Nicht zuletzt hat der Angriffskrieg Russlands eine neue Debatte über die Sinnhaftigkeit von Entwaffnungsprozessen und Demilitarisierungsbestrebungen angestoßen. 

Warum ist feministische Außenpolitik heute so wichtig?

Eine feministische Außenpolitik ist heute wichtiger denn je. Entscheidungen der Außen- und Sicherheitspolitik betreffen alle, da sie die Sicherheit und das Wohlergehen aller Bürger:innen eines Landes berühren. Nichtsdestotrotz werden Frauen und andere marginalisierte Gruppen nicht hinreichend berücksichtigt bei sicherheitspolitischen Entscheidungsprozessen. Dies hat zur Folge, dass spezifische Erfahrungen ihrer Lebenswelten keine Berücksichtigung finden. Dadurch werden ihre Möglichkeiten der politischen Teilhabe ausgebremst. Dies kommt de facto einer Entrechtung der Frau und weiterer marginalisierter Gruppen im öffentlichen Leben gleich.

Illustration: ©Nina Hagen

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Hoda Bournenanes Interessenschwerpunkt liegt im Kriegs- und Sicherheitsrecht.

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