Playmobil Figuren Mutter mit Kindern, Bett und Spielzeug

Nichtmütter ruinieren das Bild

Die Gleichberechtigung endet beim Thema Kinder

Buchautorin Nadine Pungs möchte keine Mutter sein und muss sich dafür häufig rechtfertigen. Denn eine Frau, die sich der Mutterschaft verweigert, rebelliert gegen Rollenklischees. Erst recht, wenn sie sich für eine Abtreibung entscheidet.

Vergesst nicht, es genügt eine politische, ökonomische oder religiöse Krise – und schon werden die Rechte der Frauen wieder infrage gestellt. Diese Rechte sind niemals gesichert.“ (Simone de Beauvoir)

Die Großmutter aller Fragen lautet: Warum haben Sie keine Kinder? Diese vermeintlich harmlose Erkundigung ist intim, denn sie impliziert, dass naturgemäß ein allgemeines Interesse an meinem Sexualleben und meiner Reproduktion existiert, obwohl das niemanden zu interessieren hat. Mein Körper wird zum öffentlichen Raum erklärt. Denn es gilt ja nach wie vor, auch im 21. Jahrhundert, dass Frauen muttern.

Dabei sind wir eigentlich ziemlich weit gekommen. Wir transplantieren Gebärmütter, haben den 3-D-Drucker erfunden und handeln mit CO2-Zertifikaten. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Und gehören zu jener Generation, die den höchsten Freiheits- und Lebensstandard der Menschheitsgeschichte erleben darf. 

Viele Türen, die jahrhundertelang verschlossen waren, stehen nun sperrangelweit offen. Doch eben weil sich die Gesellschaft so rasant verändert und auch endlich klassische Rollenmuster hinterfragt werden, flackert ein fast überwunden geglaubtes Bedürfnis nach eindeutigen Geschlechterverhältnissen wieder auf. Etliche Menschen fühlen sich überfordert von Globalisierung, Digitalisierung, Feminismus und Klimaaktivismus. Manche suchen eine Lösung im Konservatismus. Oder im Nationalismus. Oder im Faschismus. Vielleicht sind das die üblichen Rückzugsgefechte, die mit Wachstumsschmerzen einhergehen. Fest steht aber ebenso: Mit dem Rechtsruck der letzten Jahre kamen die altbekannten antifeministischen Diskurse und Aktivitäten zurück. „Vergesst nicht“, hatte bereits Simone de Beauvoir nahezu prophetisch vorausgesagt, „es genügt eine politische, ökonomische oder religiöse Krise – und schon werden die Rechte der Frauen wieder infrage gestellt. Diese Rechte sind niemals gesichert.“

Als die Türkei 2021 aus der Istanbul-Konvention austrat, die Gewalt an Frauen verhindern und bekämpfen soll, gab Staatspräsident Erdoğan als Begründung an, das Abkommen schade Familien und fördere Scheidungen. In Polen regiert die nationalkonservative PiS-Partei, unter der Abtreibungen praktisch verboten wurden und Personen mit Uterus wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. In Deutschland macht die AfD antifeministische und rassistische Politik für den weißen Schlichtmichel. In den USA hat der Supreme Court vor Kurzem das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gekippt, das seit 1973 bestand. Es gibt kein grundsätzliches Recht mehr abzutreiben. Ja, bei uns wurde endlich der unsägliche Paragraf 219a StGB abgeschafft, der Ärzten verbot, „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche zu machen, was bedeutete, dass selbst sachliche Information illegal war. Doch die Rechtslage ändert sich für Frauen, die abtreiben wollen, nicht. Sie werden weiterhin kriminalisiert und stigmatisiert.


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Eine Frau ohne Kind ist wie ein Mann ohne Penis

Tatsächlich dominiert im Land der Dichter und Denker (gemeint sind die männlichen) immer noch ein seltsam antimodernes Mutterbild. Und das, obwohl in Deutschland 2018 jede fünfte Frau im Alter von 45 bis 49 kinderlos war (gewollt oder ungewollt). [1] Im Westen mehr als im Osten, in der Stadt häufiger als auf dem Land. Auf eine Frau kommen im Schnitt bloß eineinhalb Kinder. Warum werden Frauen also immer noch mit Kindern verknüpft, wo doch ein Fünftel von ihnen in Deutschland kinderlos bleibt, viele sogar gewollt? Weshalb wird eine Frau ohne Kind bis heute als weniger vollständig erachtet als ein Mann ohne Kind?

Vielleicht weil zwischen Entscheidungsfreiheit und Erwartungshaltung eine Kluft liegt, die der zivilisatorische Fortschritt bisher nicht gänzlich zu überbrücken vermochte. Und da in der Bundesrepublik vier von fünf Frauen trotzdem noch im Laufe ihres Lebens mindestens ein Kind bekommen, wirkt die Nichtmutter wie ein Wackelkontakt in der gesellschaftlichen Ordnung. Laut einer Umfrage des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2020 halten 63 Prozent der ungewollt Kinderlosen Mutterschaft für ein notwendiges Element des Frauseins. [2] Nichtmütter konterkarieren also die allgemeine Erwartung. Fortschritt hin oder her. Sie gelten als egoistisch oder gar narzisstisch. Sie sind der Finger auf der Linse, sie ruinieren das Bild. Eine Frau ohne Kind ist für manche wie ein Mann ohne Penis.

Cover Buch Nicht Mutter Sein von Nadine Pungs
Cover Buch Nicht Mutter Sein von Nadine Pungs @Piper Verlag / oben:@Jeannette Hagen

Freilich hält uns niemand eine Pistole an die Schläfe und befiehlt, dass wir Mütter werden sollen. Mutterschaft ist keine Vorschrift, sie kleidet sich bloß als moralischer Imperativ. Dessen suggestive Kraft zeigt sich in der unausgesprochenen Anspruchshaltung unseres Umfelds, unterfüttert durch Medien und eine pronatalistische Politik. Mutterschaft kommt als Unausweichlichkeit daher, als Lauf der Dinge. Als Norm, die uns einhüllt wie eine Dunstwolke. Wir atmen sie ein und atmen sie aus. Sie ist um uns und in uns. Sie liegt uns auf der Zunge, sie wabert zwischen den Zeilen, zwischen Körpern und Köpfen. Deshalb ist es so beschwerlich, gegen sie aufzubegehren. Man kann ja auch nicht das Wetter bekämpfen. Es ist allzeit da. Jeden Tag. 

Und deshalb müssen sich Frauen zwar nicht rechtfertigen, wenn sie Nachwuchs haben möchten. Wohl aber, wenn nicht. Müttern wird der Entschluss zur Mutterschaft immerhin zugetraut, auch wenn sie sich während der Schwangerschaft und danach ständig Belehrungen anhören müssen. Mein Entschluss gegen Mutterschaft wird mir nicht zugetraut. Und auch ich muss belehrt werden. Bekehrt.

Das Kernproblem weiblicher Selbstbestimmung

All das ist nervig, ja, doch an guten Tagen aushaltbar. Mir geht es aber um etwas Maßgebendes, nämlich um körperliche Selbstbestimmung. Dass nämlich kurz nach der Befruchtung die Freiheit der Frau endet, über ihren eigenen Körper zu entscheiden, ist der eigentliche Skandal. Verfassungsrechtlich besteht in Deutschland nämlich grundsätzlich eine „Rechtspflicht zum Austragen“. Ja, Pflicht! Das hat das Bundesverfassungsgericht 1993 klargestellt. Frauen dürfen Kanzlerin werden – über ihren Uterus bestimmen dürfen sie nicht. Paragraf 218 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs besagt: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.“ [3]

Keine Ausnahme in diesem Paragrafen, der so ähnlich seit 1871 besteht. Erst hundert Jahre später wurde der Zusatzparagraf 218a erlassen. Laut heutigem 218a bleibt die Abtreibung

ungesühnt, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist, sie vergewaltigt wurde oder wenn sie sich von einer staatlich anerkannten Beratungsstelle hat beraten lassen, drei Tage Bedenkzeit vergangen sind und der Schwangerschaftsabbruch innerhalb eines bestimmten Zeitraums vorgenommen wird. Rechtswidrig bleibt die letzte Beratungsvariante trotzdem. Es wird bloß auf Strafe verzichtet, wenn alle Auflagen erfüllt sind. Erlaubt ist der Abbruch damit nicht.

 

Und was würde passieren, sollte unsere Bundesregierung in ein paar Jahren nach rechts rutschen? Was geschieht dann? Das macht mir Sorge. Und deshalb bin ich für die ersatzlose Streichung der Paragrafen 218 und 219 aus dem Strafgesetzbuch. 

Gewiss, es könnte uns schlechter gehen. Auch dafür gibt es Beispiele in der Welt. Doch alte Röcke sehen nicht wieder wie neu aus, nur weil man noch ältere danebenlegt. Die Reproduktionsungerechtigkeit bleibt das Kernproblem weiblicher Selbstbestimmung. Die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern endet nämlich spätestens beim Thema Kinder. Die individuelle Entscheidung gegen Fortpflanzung ist daher bis heute ein feministisches Thema mit hohem politischen Konfliktpotenzial. Was wir brauchen: Offenere Gespräche. Und mehr Mut, die alten Röcke ein für alle Mal in die Mottenkiste zu packen. Mut, unsere eigenen Erzählungen zu erschaffen. Ob mit Kindern oder ohne. Deutschland sollte in diesen Fragen Vorbild sein, erst recht, wenn andere Länder wieder Rückschritte machen. 

1) https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Geburten/Tabellen/endgueltige-kinderlosenquote-bildung.html
2) Ungewollte Kinderlosigkeit 2020 – BMFSFJ
3) https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__218.html

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Nadine Pungs, 1981 im Rheinland geboren, studierte Literaturwissenschaft und Geschichte. Als Kleinkünstlerin spielte sie am Theater und organisierte Comedyshows, heute arbeitet sie als freie Autorin. Der hier veröffentlichte Essay basiert auf ihrem neuen Buch »Nichtmuttersein: Von der Entscheidung, ohne Kinder zu leben« (Piper; 240 Seiten; 18 Euro)

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