Beziehungen als Wegwerfprodukt?
Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer im Interview
„Die Konsumgesellschaft schadet nicht nur der Umwelt, sondern auch der Psyche“, schreibt der Psychoanalytiker und Konsumkritiker Schmidbauer in seinem Buch „Die Kunst der Reparatur“. Die „Ex und hopp“-Mentalität unserer Wegwerfgesellschaft beobachtet er auch bei unseren Beziehungen.
Vivien Nikolic: In Ihrem Buch „Die Kunst der Reparatur“ sprechen Sie immer wieder von der Wegwerfgesellschaft – ein Begriff, den Sie vor vielen Jahren einmal geprägt haben. Wie ist dieser Begriff zu Ihnen gekommen?
Wolfgang Schmidbauer: Als junger Mann habe ich fünf Jahre lang eine Art Aussteigerleben geführt. Als ich danach in die Konsumgesellschaft zurückgekehrt bin, habe ich mich viel damit beschäftigt, wie Menschen konsumieren. Gleichzeitig gab es damals eine erste Umweltkrise – den sogenannten Stillen Frühling. Für mich war klar, dass diese Krise ihren Ursprung in unserem Konsumverhalten hat. In meinem ersten Buch, Homo consumens, habe ich dann den Begriff der Wegwerfgesellschaft das erste Mal gebraucht.
Und was ist so problematisch an der Art, wie wir konsumieren?
Die Dinge, mit denen wir uns heute umgeben, verlieren schnell an Wert und müssen dann neu gekauft werden. Das ist natürlich keine gute Idee. Als jemand, der mit vielen reparierten Dingen zusammenlebt, weiß ich außerdem: Es entstehen ganz andere Beziehungen zu den Dingen, wenn man sie nicht bei der ersten Störung austauscht, sondern sich wirklich damit beschäftigt und nach Lösungen sucht. Und das lässt sich auch auf Paarbeziehungen übertragen.
Inwiefern?
Auch Konflikte, die in Beziehungen entstehen, beruhen darauf, dass bei Störungen nicht nach der Ursache geforscht wird. Wir fragen uns zum Beispiel nicht oft genug: „Ist es vielleicht meine eigene Erwartung, die zu den Problemen beiträgt?“ Es fehlt ein konstruktiver Bezug zum Konflikt. Stattdessen entsteht schnell ein Gefühl von: „Das ist nicht gut, ich muss mich trennen.“ Und: „Ich habe einen Anspruch auf das Richtige, das Gute.“ Aber indem ich meinem Partner sage, dass er nicht der Richtige ist, gewinne ich keinen besseren Partner, sondern verschlechtere die Beziehung.
Haben Sie aus Ihrer therapeutischen Arbeit ein konkretes Beispiel für dieses Verhalten?
Mir ist da ein Paar in Erinnerung, bei dem der Ehemann ein sehr begabter und erfolgreicher Manager war. Ein häufiger Konflikt zwischen ihm und seiner Frau bestand darin, dass er gerne sehr schnell Auto fuhr. Seine Frau hatte dann Angst und teilte ihm das auch mit. Oft schrie er sie daraufhin an und sagte, sie sei einfach nicht die Richtige für ihn. In solchen Momenten betrachtete er sie wie eine Maschine oder ein Ding, das nicht funktionierte, das am besten ausgetauscht werden sollte. Das hatte jedoch auch für ihn Folgen und brachte oft ihn an die Grenze zur Depression, denn er hatte sich ja sozusagen die „falsche“ Frau ausgesucht und mit ihr zwei Kinder bekommen.
Was ist Ihre Erklärung dafür, dass sich unsere Einstellung gegenüber den Dingen auch auf unsere Beziehungen auswirkt? Man könnte ja denken, das seien zwei ganz unterschiedliche Sphären.
Aus meiner Sicht hängt das mit der steigenden Individualisierung zusammen. Früher war Kooperation ja oft unerlässlich. Dafür gibt es viele Beispiele: In der Vergangenheit haben sich die Bauern gegenseitig beim Dreschen geholfen, heute fährt jeder alleine mit seinem Mähdrescher übers Feld. Die moderne Arbeitswelt läuft immer mehr auf Vereinzelung hinaus. Jeder sitzt in dem Komfort, den die Verschwendungsgesellschaft ermöglicht, und hat zugleich Angst, einen Teil dieses Komforts wieder zu verlieren. Das kann man momentan auch bei den steigenden Energiekosten beobachten. Wer aktuell an einer Tankstelle vorbeifährt, denkt vielleicht: „Oh Gott, was passiert jetzt mit mir?“ Wir haben uns in eine große Abhängigkeit begeben und die führt zu Ängsten vor der Zukunft. Damit einher geht das Bedürfnis, sich abzulenken und diese Ängste zu kontrollieren.
Das kann zu heftigen Konflikten in Paaren führen. Zum Beispiel, wenn sie sich nicht einigen können, ob die Ängste des einen vor einer Corona-Infektion oder vor der Klimakrise „übertrieben“ sind. In meiner Praxis gab es einen Mann, der sich im ersten Lockdown eingebunkert hat und die Wohnung nicht mehr verlassen wollte. Zu seiner Frau, die nach wie vor ausging, sagte er „du bringst den Tod ins Haus!“
Lassen Sie uns über Demokratie sprechen. Welche Rolle spielt die in diesem Zusammenhang?
Zur Demokratie gehört der Schutz der Minderheit, des Unterlegenen. Die Mehrheit akzeptiert, dass ihre Mehrheit provisorisch ist, und die Minderheit muss damit fertig werden, dass sie überstimmt worden ist. Auch das, was nicht erwünscht ist, hat in der Demokratie seinen Platz. Demokratie bedeutet: dem Anderen zuhören und mit friedlichen Mitteln versuchen, einen Ausgleich zu schaffen. Genau das hat auch in Beziehungen eine stabilisierende Funktion: herauszufinden, was man an seinem Partner nicht mag, und es dann zu akzeptieren. In meinem Therapiezimmer habe ich einen runden Tisch und ich sage meinen Paaren dann oft: „Jeder von Ihnen hat eine Hälfte davon, niemand hat den ganzen. Keiner kann behaupten, ‚Dein Gefühl ist falsch‘ oder ‚Du hast das Gefühl gar nicht‘.“ Man kann nicht in die Gefühle des Anderen hineinregieren. Es braucht auch da ein demokratisches Modell; die Erkenntnis, dass Menschen unterschiedliche Gefühle haben, die man nicht nivellieren kann.
Von der Demokratie können wir also durchaus etwas lernen. Was könnte uns noch helfen, wieder zu besseren Partner:innen zu werden?
Ein Rezept ist sicherlich, genau hinzugucken und Geduld zu haben, mit sich und mit anderen. Geduld heißt auch, Leid zu akzeptieren und zu versuchen, es zu verstehen und etwas Konstruktives daraus zu machen. In der Psychoanalyse nennt man das „Trauerarbeit“. Dabei geht es darum, anzuerkennen, dass Dinge unvollkommen sind. Dass ich unvollkommen bin, dass die anderen unvollkommen sind, dass die Gesellschaft und die Demokratie unvollkommen sind.
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