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Soldatin an der Kulturfront

Die ukrainische Opernsängerin Lena Belkina im Gespräch

Russland möchte, dass es keine Ukraine mehr gibt. Aber in kultureller Hinsicht hat der mörderische Angriffskrieg genau das Gegenteil erreicht. Auch die junge, international gefragte Mezzosopranistin Lena Belkina brennt für ihr Land. Schmerz, Wut, Trauer und Hoffnung leben in alten und neuen ukrainischen Liedern auf ihrem aktuellen Album „Passion for Ukraine“.

Was hat sich seit dem 24. Februar 2022 für Dich geändert?

Ich konnte erst mal nicht mehr singen von diesem Moment an. Zum Glück hatte ich kurz vor Kriegsbeginn ein Engagement an einer Oper abgesagt aus rein künstlerischen Gründen. Mittlerweile hat sich meine Sichtweise für viele Dinge geändert. Ich bin ja russischsprachig aufgewachsen, da ich von der Krim stamme. Aber jetzt will ich meine Sprache sprechen und das ist die ukrainische Sprache. Ich habe über solche Sachen viel zu wenig nachgedacht. Durch den Krieg habe ich verstanden, wie diese Welt funktioniert. Wenn eine Nation eine andere umbringen will, ist das nicht Politik, sondern Völkermord. In den ersten Wochen des Krieges habe ich noch versucht, russische Menschen zu überzeugen. Ich versuchte, an sie zu appellieren, dass sie auf ihre Regierung einwirken. Wie viele Menschen aus Russland sich dann gerechtfertigt haben, war sehr erschreckend für mich. Ich konnte nur die Konsequenz ziehen und viele Kontakte abbrechen.

Siehst Du eine indifferente Haltung in der russischen Bevölkerung?

Ja, der Anteil, der gegen den Krieg auf die Straße geht, ist verschwindend gering in Relation zu den etwa 140 Millionen Menschen, die in Russland leben. Jeder kann sich heute informieren und durch die Digitalisierung lässt sich heute kein Verbrechen mehr verstecken. Die Ukraine hingegen war bereit, die prorussische Regierung zu stürzen und dafür Opfer zu bringen. Dabei sind viele junge Menschen gestorben.

Wie fühlte es sich an, als Du Ende März 2022 in einem Benefizkonzert für die Ukraine im Wiener Musikverein doch wieder aufgetreten bist? 

Bei der Generalprobe habe ich nur geweint. Es war für mich erst mal schwer, die ukrainische Sprache zu singen. Ich war sehr neugierig, wie das Publikum darauf reagiert. Aber in diesem Benefizkonzert habe ich gesehen, dass die Emotionen und Melodien auch ohne genaue Kenntnis der Texte tief berührten. Ich fragte mich, warum habe ich das nicht früher gemacht?

Was denkst du über die Haltung der meisten Ukrainer:innen, die jetzt unter diesen Bedingungen leben müssen?

Ich finde sie phänomenal. Dieser Krieg dauert schon fast ein Jahr und die Menschen halten durch. Die meisten sagen „Lieber ohne Strom, Gas, Essen und Elektrizität, aber niemals mit den Russen zusammen. Im Zweifelsfall sogar lieber sterben“. Viele, die nach Kriegsbeginn geflüchtet sind, kehren zurück und sind motiviert, alles Stein für Stein wieder aufzubauen. Ich denke zum Beispiel an die Reportage von einer alten Frau, deren Haus komplett zerstört worden ist. Nur ein Ofen stand noch in den Trümmern. Nach ihrer Rückkehr an diesen Ort hat sie auf diesem Ofen erst mal ein Brot gebacken. Die Ukraine kann man nicht so einfach nehmen, das ist fast unmöglich.

Wie empfindest Du die Stimmung in den westlichen Ländern gerade? 

Mich macht es traurig, dass hier die Menschen unzufrieden sind über Heizkosten und andere Luxusprobleme. Sie verstehen nicht, dass es die Menschen in der Ukraine sind, welche auch sie vor den schrecklichen Verbrechen von Russland schützen. 

Erzähl mir mehr über Deine familiären Wurzeln, auf die Du Dich gerade erst so richtig besinnst!

Ich bin in Taschkent, also der ehemaligen Sowjetunion geboren und auf der Krim aufgewachsen. Ich habe immer gedacht, dass ich halb Russin bin, weil mein Vater in Sibirien, genauer gesagt im Altai-Gebiet, geboren wurde. Meine Mutter ist Krim-Tatarin, die Familie wurde aber 1944 von der Krim vertrieben. Die Sowjetunion hat immer schon Menschen vertrieben und Familien getrennt, vor allem, damit eine Gruppe von Menschen nicht an einem Ort lebt. Meine Großmutter und mein Großvater wurden beide auf der Krim geboren und vertrieben als sie 11 und 18 Jahre alt waren. Sie haben zwischen 1944 und 1989 davon geträumt, in ihre Heimat zurückzukehren. Über Verwandte habe ich erfahren, dass die Familie meines Vaters aus Charkiw stammt und nach Sibirien vertrieben wurde. In Charkiw leben heute noch viele ukrainische Verwandte von mir. Ich fühle mich also zur Hälfte als Ukrainerin und zur anderen Hälfte als Krim-Tatarin. Über all dies habe ich erst im März 2022 richtig nachzudenken begonnen. Aber genau deswegen brenne ich jetzt umso mehr für dieses Land. 

Wie siehst Du Deine Rolle als Musikerin jetzt? 

Ich möchte zeigen, dass ich Soldatin an der Kulturfront bin und meine Mission sehr wichtig für die Ukraine ist. Das Programm auf „Passion for Ukraine“ reicht von uralten Liedern bis in die heutige Zeit. Ich bewahre die Lieder meines Volkes und meiner eigenen Vorfahren vorm Vergessen und will deren Geschichte erzählen. Ebenso arbeite ich mit vielen in der Ukraine lebenden Komponisten zusammen. Mir geht es hier um einen Bezug zwischen dem ukrainischen Kulturerbe und der aktuellen Situation. 

Einschneidender als auf dem Video zum Stück „Requiem for Mariupol“ kann man die Zerstörungen durch die russischen Angriffe wohl kaum darstellen. 

Ich selbst habe die Bilder für dieses Video zusammengestellt. Es ist sehr wichtig, dem europäischen Publikum die Wahrheit zu zeigen. Mariupol war eine coole, entwickelte Stadt am Asowschen Meer mit viel Industrie und Reichtum. Hier sind über 100 000 Menschen gestorben. Die Stadt ist nur noch ein großes Leichenhaus. Das ist Völkermord. Um meine Botschaft deutlich zu machen, brauchte es hier eine aktuelle, neue Musik. Illia Razumeiko ist ein genialer junger Komponist, der mir dieses Stück geschrieben hat. 

Warum hast Du den Text auf so wenige Worte reduziert? 

Der letzte Satz „Miserere nobis pace“ heißt „Gib uns Frieden“! Wie ein letzter Schrei um Hilfe. So empfinde ich alles, was mit Mariupol verbunden ist. Es klingt banal, aber ich will nicht, dass Menschen so grausam sterben. Auch im 21. Jahrhundert nicht. Keiner will, dass das geschieht. Aber man muss es einfach sagen. Jeder hat ein Recht zu leben. Diese Ungerechtigkeit macht mich fertig. Ich halte durch, weil ich weiß, ich muss helfen. 

Ich tue alles, was ich kann, vor allem auf kulturellem Gebiet. Ich unterstütze auch Spendenorganisationen.

©Martin Teschner
©Martin Teschner

Hat Dich der Krieg stärker oder schwächer gemacht? 

Es ist ambivalent. Am Anfang des Krieges habe ich mich wie gelähmt gefühlt. Der Trauergedanke und dieser Schmerz sind nach wie vor in mir. Ich will sie nicht ignorieren, sondern sublimieren in Musik und Gesang. Ich merke, dass ich als Sängerin stärker geworden bin. Ich bin viel bewusster unterwegs seitdem. Wenn ich nicht gefährdet bin, dann will ich denjenigen helfen, die gefährdet sind. Ich habe kein Recht, mich in eine Depression zu versenken. Im Gegenteil – ich habe gemerkt, dass ich sehr viel machen kann. Und ich freue mich, dass ich meine Gedanken mit anderen teilen kann und wir doch eine große Community sind.

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Stefan Pieper ist freier Journalist und Autor mit den Schwerpunkten Musikszene und freier Kultur.

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