IGOR LEVIT – NO FEAR

Ein Ausnahmekünstler auf der großen Leinwand

Der Film IGOR LEVIT – NO FEAR begleitet den Pianisten bei der Erkundung seines „Lebens nach Beethoven“, bei der Suche nach den nächsten Herausforderungen und nach seiner Identität als Künstler und Mensch.

Wer auf Twitter ist, kennt Igor Levit. Selbst, wenn man mit klassischer Musik überhaupt nichts am Hut hat – an Levit kommt man nicht vorbei. Er ist Aktivist und Meinungsmacher. Einer, der Trends setzt, der Debatten eine Richtung gibt. Und der sich auf vielfältige Art für andere einsetzt. Wie vor einiger Zeit präsent mit seinem Klavier für die Klima-Aktivist:innen im Dannenröder Forst oder vor ein paar Tagen auf Twitter für die Sicherheitsexpertin Claudia Major, die in einem Beitrag der Zeitung Neues Deutschlands diffamiert worden war. Levit nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, sich gegen antisemitische Angriffe, gegen Stimmungsmacher:innen von Rechts oder grundsätzlich gegen Ungerechtigkeiten aufzulehnen. Er tut das mit so viel Engagement, dass das nicht nur auf Twitter, sondern auch öffentlich wahrgenommen und gewürdigt wird. Levit erhielt allein in diesem Jahr die Urania-Medaille, den Carl-von-Ossietzky-Preis und den Ludwig-Landmann-Preis für Mut und Haltung.

Igor Levit im Dannenröder Forst
Igor Levit im Dannenröder Forst ©zero one Film // Oben: Igor Levit - No Fear © zero one Film

Sein Engagement ist die eine Seite, sein Können und seine Virtuosität am Klavier die andere. Auch hier setzt Levit Maßstäbe und Trends, holt die klassische Musik raus aus der Blase des Bildungsbürgertums und der Konzertgänger:innen. Als Covid alle Konzertpläne von heute auf morgen beerdigte, 108 seiner ausgebuchten Konzerte in der ganzen Welt abgesagt wurden, filmte sich Levit allabendlich bei seinen Hauskonzerten und baute damit eine Reichweite auf Instagram und Twitter und eine Verbindung zu einem neuen Publikum auf. Gleichzeitig entdeckte er in diesem Prozess des Stillstands eine neue Freiheit, die abseits von den Zwängen des Tourneebetriebs lag – eine in der Klassik neue Form der Veröffentlichungen und der Vermarktung. Und die Freiheit, das, was ER wollte und wie lange ER wollte, zu spielen.

Die Filmemacherin Regina Schilling (Kulenkampffs Schuhe, Titos Brille) hat Igor Levit bei all dem über zwei Jahre filmisch begleitet. Herausgekommen ist ein unglaublich berührender Dokumentarfilm. Knut Elstermann (Moderator bei Radio Eins) formulierte es bei der Filmpremiere in Berlin so: „Wer glaubt, dass er Igor Levit kennt, weil er mit ihm auf Twitter oder Instagram verbunden ist, oder weil er seine Musik hört, der wird durch diesen Film eines Besseren belehrt“.

Und es stimmt. Die Regisseurin lässt die Zuschauer:innen unglaublich dicht an Levit heran, ohne ihn vorzuführen. Und sie bricht – ähnlich wie Levit selbst – mit Mustern oder besser mit Seh-Gewohnheiten, indem sie der Musik und dem Können Levits unglaublich viel Raum gibt. Das zeigt sich besonders in einer Szene, in der Levit bei einem Auftritt über neun Minuten die Waldsteinsonate von Ludwig van Beethoven spielt, ohne dass es einen Schnitt im Film gibt. Irgendwie erwartet man als Zuschauer:in aber den Schnitt. Schon deshalb, weil man es überhaupt nicht gewohnt ist, in einem Film so lange einem Klavierstück zuzuhören und dem Pianisten dabei zuzusehen, wie er sein ganzes Können und seine Liebe in dieses Stück legt. Wie er schwitzt, atmet, wie seine Finger auf den Tasten hopsen, tanzen, wie sie schlagen, dann wieder klopfen, streichen, die Tasten zart berühren, und in der nächsten Sekunde wieder auf sie einhämmern. Es ist, als würde man selbst in dem Konzert direkt neben Levit sitzen und nicht im Kino. Und eigentlich will man aufspringen, weil sich diese Lebendigkeit und diese unbeschreibliche Energie irgendwie entladen müssen. Das ist anders, das ist neu und Schilling sagt, dass sie genau das beabsichtigt hat – die Zuschauer:innen zu Beobachter:innen zu machen.


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Igor Levit und Andreas Neubronner
Igor Levit und Andreas Neubronner in IGOR LEVIT - NO FEAR © zero one Film

Eine weitere Stärke des Films ist seine Offenheit und Zärtlichkeit, die sich besonders in den Szenen ausdrückt, in denen Levit gemeinsam mit seinem Tonmeister Andreas Neubronner Stücke aufnimmt. Oder wenn er gemeinsam mit anderen musiziert. Da bekommt man eine Ahnung davon, wie erfüllend und bereichernd es sein muss, gemeinsam Musik zu spielen. Aber auch davon, welchem Druck Igor Levit ausgesetzt ist, um immer wieder auf höchstem Niveau abzuliefern. Da verwundert es nicht, dass er in einer Szene beschreibt, wie ihm sein Gefühl für die Brillanz, mit der er seine Konzerte spielt, schon ein paar Stunden später verlorengeht und dass er sich nicht mehr daran erinnern kann, ob er gut oder schlecht gespielt hat. Oder in einer Szene, in der er nach der anstrengenden Aufnahme von Ronald Stevensons „Passacaglia on DSCH“ minutenlang bäuchlings auf dem Parkettboden liegt.

Levit erzählt auf der Premiere des Films, dass es nicht die Aufnahme selbst war, die ihm die Kraft geraubt hat, sondern dass es der Tag gewesen sei, an dem sich in Thüringen der FDP-Politiker Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen. Es ist also nicht die Auseinandersetzung mit der Musik selbst, die ihn anstrengt, sondern das, was on top kommt und was ihn als offenen, berührbaren Menschen dann buchstäblich auf die Bretter haut.

Was der Film auch zeigt: Das, was für die Zuschauer:innen ein Geschenk ist – die Musik, die Darbietung – ist für Levit nicht selten auch ein Korsett. Das fängt schon bei der Kleidung an, denn Anzüge mag Levit eigentlich gar nicht tragen. Man hat den Eindruck, sie stehen symbolisch für etwas, das er hinter sich lassen will. Und was er Dank der Pandemie auch teilweise hinter sich lassen konnte. Im Interview mit dem RBB bezeichnet er die Zeit vor Corona sogar als “alte Welt” und ergänzt, dass die Lockdown-Zeit sein Leben vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Man glaubt ihm, dass er diesen harten Schnitt gebraucht hat, um nicht zu zerbrechen.

Mein Fazit: IGOR LEVIT – NO FEAR ist ein absolut sehenswerter Film.
Er ist ab dem 6. Oktober in vielen Kinos zu sehen, in Berlin zunächst im delhiLUX, in den Eva-Lichtspielen, im Filmtheater am Friedrichshain und im Kino Krokodil.

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Jeannette Hagen arbeitet als freie Autorin und Kolumnistin in den Schwerpunkten Gesellschaft, Psychologie, Politik und Kunst für verschiedene Medien und Verlage. Neben dieser Arbeit und dem Studium der Politikwissenschaft an der FU Berlin setzt sie sich aktiv für Menschenrechte ein.

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