Szene aus

Von der Kneipe für alle

„Heikos Welt“ begeistert seit einigen Monaten das Kinopublikum - zu Recht!

Mit „Heikos Welt“ ist vor einigen Wochen ein Independent-Kinofilm in die deutschen Kinos gekommen, der nicht nur über eine in der hiesigen Film- und Fernsehlandschaft kaum präsente soziale Schicht erzählt, sondern das mit ehrlicher Wärme und Wahrhaftigkeit tut und damit Kulthit-Potential hat.

Um zu verstehen, wie es zu dem Film kam, lohnt es, ein bisschen weiter auszuholen und damit zu beginnen, dass man sich in deutschen Filmproduktionen derweilen schwer mit Diversität tut, was vor allem damit zusammenhängt, dass Filme und Fernsehsendungen oft von Menschen produziert werden, die mit dem jeweiligen dargestellten Background wenig zu tun haben. 

Hierzulande bemüht man sich, eine kulturelle Entwicklung aufzuholen, die sich in anderen Ländern ganz natürlich entwickelt hat: In Marvels Blockbuster „Eternals“ (2021) ist es völlig normal, dass eine gehörlose Schauspielerin eine der Hauptrollen spielt. Bereits mit „Ziemlich beste Freunde“ (2011) hat Omar Sy, der mit seinem senegalesisch-mauritianischen Background bis dato ein unbeschriebenes Blatt war, seinen großen Durchbruch. 

Und bei uns? Wollte man beispielsweise mit „Straight Outta Crostwitz“ eine hippe, lustige Serie über eine junge Frau, die sich aus der Volkssänger-Szene einen Namen als Rapperin machen möchte, zeigen, dass wir auch „divers“ können. Was lustig klingt, ist allerdings misslungen und vollgepackt mit Fremdscham-Momenten. Der Grund dafür: Da haben sich offensichtlich Menschen mit einem Thema beschäftigt, mit dem sie absolut keine Berührungspunkte hatten.

 

Geht doch!

Dabei gibt es sie: die guten, ehrlichen und künstlerisch anspruchsvollen Formate, die sich nicht von oben über soziale Schichten oder kulturelle Prägungen lustig machen wollen, sondern es schaffen, dem Publikum einen realen Eindruck von etwas zu vermitteln, mit dem es vielleicht sonst im Alltag wenig mitbekommt. 

So zum Beispiel das Berliner HipHop Label „Nordachse“, das unter anderem den Label Künstler Shake One unter Vertrag hat. Das Label selbst existiert seit gut zehn Jahren und hat sich neben der Veröffentlichungen von diversen Tonträgern zu einer kleinen Bewegung entwickelt – veranstaltet regelmäßig Partys mit feinster Funk-, Soul- und HipHop Musik ab den 60er Jahren, hat eine eigene Biersorte (die übrigens in Chemnitz gebraut wird) und einen eigenen Vintage- Graffitiladen in Berlin-Wedding. 

In den Videos der Label-Künstler von Shake One geisterte schon früh ein gewisser Heiko herum, der auf charmante Berliner Art und Weise Lebensweisheiten von sich gibt und sich schnell in die Herzen der Fans quasselte. Irgendwann war er so erfolgreich, dass ein regelmäßiger Videoblog auf YouTube folgte und nun – ein paar Jahre später – ein ganzer Kinofilm.

„In den Videos der Label-Künstler von Shake One geisterte schon früh ein gewisser Heiko herum, der auf charmante Berliner Art und Weise Lebensweisheiten von sich gibt und sich schnell in die Herzen der Fans quasselte.“

Filmszene aus Heikos Welt, Mann und Frau
Filmszene aus "Heikos Welt" @Mutter & Vater Productions GmbH / Oben: ebenso

 

Moment? Ein „versiffter“ Kneipenfilm, denkst Du jetzt vielleicht? Ja, könnte man erwarten, aber es geht in „Heikos Welt“ um so viel mehr. Als Zuschauer:in bekommt man einen Film, der so ehrlich und berührend ist, wie wohl viele Kneipengeschichten einfach sind, wenn man hinter ihre Fassade schaut. Und man kommt in Berührung mit einer sozialen Schicht, bei der viele erst einmal die Nase rümpfen.

Die Geschichte ist schnell erzählt:

Heikos Mutter Belinda leidet an Keratokonus, einer selten auftretenden Veränderung der transparenten Hornhaut. Nach und nach verliert sie ihre Sehkraft und könnte ganz erblinden, wenn ihr nicht geholfen wird: Mit der Hornhaut eines verstorbenen Spenders ließe sich Belindas Augenlicht zurückgewinnen – doch diese Transplantation kostet Geld.

Für Heiko, der mit bürgerlichen Namen Martin Rohde heißt, beginnt damit eine Odyssee durch die Berliner Kneipenwelt. Um das Geld für die Operation seiner Mutter zusammenzubekommen, stellt er sich den besten Dartspielenden der Stadt.
Dieser Nebenschauplatz bietet jedoch nur die Grundlage für eine Geschichte über Zwischenmenschlichkeit in einer sozialen Schicht, die sonst kaum im Rampenlicht der Film- und Fernsehwelt steht.

Filmszene aus
Filmszene aus "Heikos Welt" @Mutter & Vater Productions GmbH

Bei dieser Produktion sind vom Regisseur bis zur kleinsten Rolle Kenner der Kneipenkultur und vor allem der Arbeiterschicht am Werk. Dominik Galizia, der bereits Musikvideos für Rap-Legenden wie MF Doom drehte, und mit „Heikos Welt“ seinen ersten großen Wurf landete, freut sich über volle Kinos. Denn trotz des Erfolgs und der Auszeichnung für Martin Rhode als „besten Schauspieler in der Sektion Neues Deutsches Kino“ letztes Jahr beim Münchener Filmfest, war es nicht leicht, den Film in die Kinos zu bringen.

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Johann Christof Laubisch schreibt, spielt und rappt. Das macht er unter anderem für den „Tatort“, Filme wie „Je Suis Karl“, die Freie Presse Chemnitz, HipHop.de und manchmal auf Deutsch, manchmal auf Französisch.

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