Der Sound der Freiheit

Über ein Hamburger Musikunternehmen das iranische Sounds fördert

Musik ist eine Sprache, die jeder Mensch auf der Welt versteht. Frei von Vorbehalten und politischen Systemen ist sie Ausdruck von Gefühl und Gemeinschaft und ein Spiegel der Gesellschaft –
umso spannender ist das Projekt des Hamburgers Matthias Koch, der das erste Label für iranische Künstler:innen in Deutschland gegründet hat.

Der Iran ist so facettenreich, wie er umstritten ist – all das in einer einzigen Geschichte wiederzugeben, ist schier unmöglich. Und trotzdem gibt es Menschen, deren besondere Beziehung zum
Iran eine Geschichte wert ist – so wie die von Matthias Koch aus Hamburg. Eines Abends saß der Musikmanager in einer Bar und erinnerte sich an einige TV-Berichte, die er zuvor über die Kunst- und Kulturszene im Iran gesehen hatte. Und es war die reine Neugier, die seiner „Schnapsidee“ Taten folgen ließ: „Ich hatte mit dem Iran gar nichts zu tun und kannte dort auch niemanden“, erzählt der 50-Jährige. „Aber ich habe mich schon immer mit Musik und Kunst beschäftigt und wollte selbst wissen, wie es dort zugeht.“

Offenheit statt Vorbehalte

Einige Anträge, ein Visum und einen gepackten Rucksack später saß Koch das erste Mal im Flieger Richtung Teheran, von wo aus er zehn Tage alleine durch den Iran reiste, um Kultur und Menschen kennenzulernen. Ja, es war gewagt, sich ohne Vorkenntnisse in ein Land aufzumachen, dessen politischer Ruf in der Welt alles andere als gut ist. Der Iran versteht sich seit der Revolution 1979 als Islamische Republik, in der die Religion Gesetz ist und den Alltag der Menschen bestimmt. Und dennoch war es Koch wichtig, dem Land ohne Vorbehalte zu begegnen. Toleranz und Offenheit schlagen ungeahnte Brücken und Kochs Entscheidung bestätigte ihn. Das Gefühl nach seiner ersten Iran-Reise beschreibt er so: „Es war wie nach einer Klassenfahrt, wenn man voll schöner Erinnerungen nach Hause kommt und beschließt: Da muss ich unbedingt wieder hin.“

Das war 2015 und seitdem war Koch weitere acht, neun Mal im Iran. Mal alleine, mal mit seiner Familie. Mal für einen Sprachkurs, mal für eine weitere Kulturreise. Inzwischen kann Koch sogar die Landessprache Farsi sprechen, schreiben und lesen. Aber die eigentliche Sprache, nämlich die, die keine Grenzen und keine politischen Staatsformen kennt, liegt ihm am meisten: Musik. „Wie viele andere Musiknerds bin auch ich immer auf der Suche nach neuen Klängen, Sounds und musikalischen Trends, die mich begeistern, und ich war einfach fasziniert von den Menschen und der Kultur dort“, sagt der Hamburger.

Durch die vielen Kontakte und Freundschaften, die Koch im Iran inzwischen geknüpft hatte, rutschte er dort immer weiter in die Musikszene. Dabei ist Kultur im Iran ein besonderes Thema, denn das herrschende Regime hat strenge Auflagen und eine eigene Behörde namens „Ershad“ geschaffen, die kulturelle Beiträge zunächst auf ihre „Islamtauglichkeit“ prüft, bevor sie sie genehmigt. Der Raum der künstlerischen Freiheiten, wie man sie aus modernen Demokratien kennt, ist dabei vorstellbar klein. Popkulturell „westlich“ angehauchte Anträge schließen sich beinah automatisch aus. Alles, was Kritik am System oder ein Entgleiten der islamischen Werte bedeuten könnte, wird verboten. Umso wichtiger ist der Beitrag Kochs, der Musik und den Menschen im Iran eine Stimme gibt. Und das ganz legal.

Gründer von 30M Records Matthias Koch. Foto: ©Lena Dann

Elektro-Musik ohne politischen Zeigefinger

Koch entdeckte nämlich eine musikalische Lücke, die er im Rahmen der Möglichkeiten ganz offiziell aufgreifen konnte: Neo-klassische, moderne, elektronische Musik aus dem Westen, kombiniert mit landestypischen Instrumenten und Melodien aus dem Iran. Wenig Text, keine politischen Inhalte – dafür aber ein neues Genre, ein neuer Elektro-Sound, den man in Europa so noch nicht kennt und der „tolle neue Klänge verspricht“, wie Koch sagt. Es sei ihm wichtig, niemanden mit seiner Arbeit zu gefährden, betont er. Er will keinen politischen Zeigefinger erheben und er sucht keine illegale Lücke, um verbotene Musik aus dem Iran in Europa zu etablieren und die Künstler:innen im Iran in Gefahr zu bringen. „Davon hat niemand etwas.“ Viel wichtiger sei es, dem Westen den Iran und dieses „gewaltige Potential“ hier vorzustellen, um die Grenzen in den Köpfen zumindest aufzubrechen.

Musik ist eine mächtige Sprache. Sie macht frei, sie schafft Offenheit und sie verbindet Menschen, die sonst nicht zueinander gefunden hätten. „Es erfüllt mich, auf die Menschen und ihre Künste im Iran aufmerksam zu machen. Es macht sie glücklich, gehört zu werden“, sagt Koch. „Und das sollte uns vor Augen führen, wie gut wir es in unserer Demokratie haben, unsere künstlerischen Freiheiten ausleben zu dürfen. Denn das ist nicht selbstverständlich.“

Und der Sound aus dem Iran kann sich hören lassen: Koch mag vor allem die „besondere Melancholie“, die sich in all den möglichen Genres der Musik dort wiederfindet, und gibt ihr mit seinem Know-how einen westlichen elektronischen Feinschliff. So schuf er im Rahmen der Möglichkeiten schon die ersten Gelegenheiten, Künstler:innen aus dem Westen für Konzerte nach Teheran zu holen. Das war nicht immer einfach – aber möglich. Und auch andersherum schuf er die Möglichkeit, Künstler:innen aus dem Iran in Europa eine Konzertmöglichkeit zu schaffen. Auch das war nicht immer einfach – aber möglich.

Suche über Instagram

Vor allem über Instagram entdeckte Koch immer mehr iranische Musiker:innen, die er kontaktierte und auf die er elektro-akustisch aufmerksam machte. Und dann fasste er im Sommer 2020 einen Entschluss: Er gründete das Label „30m Records“ in Hamburg und ist seitdem nun auch ganz offiziell Anlaufstelle für iranische Künstler:innen und Musik in Europa – so einen Brückenschlag hat es zuvor noch nicht gegeben. „Unter den derzeitigen Wirtschaftssanktionen dürfen Musiker:innen und Labels nicht direkt mit amerikanischen oder europäischen Plattformen und Kunden in Austausch treten“, erklärt Koch „Mein Label bietet ihnen aber die Möglichkeit, ihre Musik weltweit zu veröffentlichen und sie auch zu promoten.“ Die meisten Künstler:innen, die Koch vertritt, leben im Iran. Einige aber auch in Europa, wie zum Beispiel die experimentelle Elektro-Musikerin Rojin Sharafi, die seit acht Jahren in Wien zu Hause ist.

Musikerin Rojin Sharafi Foto: ©Igor Ripak

Die Musik wird im Iran aufgenommen und in Hamburg feingeschliffen und vermarktet. Matthias Koch ist inzwischen sehr gut vernetzt und freut sich sehr über sein „Baby“, das im Juni veröffentlicht wurde: Mit „This is Tehran“ („Das ist Teheran“) ist in Deutschland erstmals ein Album mit verschiedenen iranischen Künstler:innen erschienen, das den Klang und die Szene Teherans nach Europa bringt. „Das Album porträtiert eine moderne Generation, die der traditionellen Musik des Landes neues Leben einhaucht“, sagt Koch. „Mit ihrem erkennbaren iranischen Fußabdruck ist das eine aufregende Bereicherung für die westliche Musik- und Popkultur.“

Wenn Corona es erlaubt, will Koch so schnell wie möglich wieder in den Iran und an seine Arbeit anknüpfen. Bis dahin schleift er weiter an den Roh-Diamanten, die er soweit gefunden hat – alles im Übrigen aus eigener Tasche finanziert. „Wir sollten Kunst unabhängig von Politik betrachten. Das ist es mir wert.“

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Schabnam Tafazoli ist Kulturredakteurin bei den Lübecker Nachrichten (Madsack Verlag), 44 Jahre, Iranerin, in Wien geboren, Nordlicht, Küstenkind und Mama einer siebenjährigen Tochter.

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