Die Klimakrise vor der Haustür
Oder: Wie viel ist uns unsere Freiheit wert?
In einer 2018 durchgeführten Studie stimmten 38 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass die individuelle Freiheit vor sozialer Gerechtigkeit steht. Anders herum interpretiert, wären über die Hälfte bereit, sich für andere einzuschränken. Die Realität bildet das nicht ab. In ihr dominiert das ICH.
Die Diskurse zum Thema Freiheit waren in den letzten Jahrzehnten im globalen Norden überwiegend auf die individuelle Freiheit ausgerichtet. Frei bin ich, wenn ich tun kann, was ich will, und wenn ich mich entfalten kann. Skifahren auf dem Gletscher? Unbedingt. Rasen auf der Autobahn? Ja, bitte. Duschen, so lange ich will? Natürlich. Einschränken? Hilfe, nein. Venedig geht unter? Dann lass uns schnell noch eine Kreuzfahrt buchen. Australien brennt? Oje, die armen Koalas. Na ja, dann fliegen wir eben nach Neuseeland, dort ist es auch schön. Sie finden das zu hart ausgedrückt? Nein, es ist noch viel zu soft angesichts dessen, was uns erwartet, wenn die Erde sich um zwei oder um drei Grad erwärmt. Das wollen wir bloß nicht wahrhaben.
Sehen was ist – das Feuer vor der Tür
Die Antwort auf die Frage, wie lange wir uns unser Kreisen um individuelle Freiheit angesichts der Klimakrise noch leisten können, ist kurz und lautet: Eigentlich überhaupt nicht mehr. Denn die Klimakrise hat uns längst erreicht. Was bisher überwiegend Länder im globalen Süden betraf – Dürren, Überschwemmungen, extreme Hitze, Verlust der Artenvielfalt – ist plötzlich auch Teil unserer eigenen Wirklichkeit. Berlin fehlen aktuell pro Quadratmeter 500 Liter Wasser – das entspricht fast der doppelten Menge des durchschnittlichen Jahresniederschlags in dieser Region. Aufgestaut hat sich dieses Defizit durch das vierte Dürrejahr in Folge. Schaut man auf das Regenradar, sieht es so aus, als würden die Niederschläge einen Bogen um diesen Landstrich machen. Dass die Spree teilweise rückwärts fließt, dass rund 1000 Bäume pro Jahr gefällt werden müssen, weil sie der Hitze und der Dürre nicht mehr standhalten, dass bereits im Juni die Wälder im Berliner Umland brennen, sind nur einige der Folgen. Sie werden konkret, wenn die Polizei an die Haustür klopft und dazu auffordert, das Haus zu verlassen, weil Gefahr im Verzug ist. Für die Bewohner:innen des kleinen Örtchens Klausdorf bei Treuenbrietzen war das seit 2018 bereits zweimal bittere Realität. Dass sie, wie auch die Bewohner:innen von Frohnsdorf und aus Teilen von Beelitz, in ihre vom Feuer verschont gebliebenen Häuser zurückkehren konnten, ist dem Zufall zu verdanken. Dem Zufall, dass es dann doch noch ein bisschen Regen gab.
Blockade fürs Bewusstsein
Aber was, wenn der nicht gekommen, wenn Klausdorf den Flammen zum Opfer gefallen wäre? Hätte uns das wachgerüttelt? Haben wir angesichts der Flutkatastrophe im Ahrtal etwas an unserem individuellen Verhalten verändert? Hat uns der Tornado, der in Lippstadt ganze Straßenzüge verwüstet hat, aufgeschreckt? Haben uns die Brände in Brandenburg angeregt, unsere Mobilität zu überdenken? Unsere individuelle Freiheit ein bisschen zu Gunsten aller einzuschränken? Eher nicht. Wir steigen wie gehabt in unsere Autos, planen Fernreisen, regen uns wahlweise über lange Schlangen an den Abfertigungsschaltern des BER oder blockierte Autobahnzubringer auf, diskutieren über Tankrabatte und verstehen nicht, dass für die jungen Menschen, die sich auf die Autobahnzubringer kleben, unglaublich viel auf dem Spiel steht. Und dass die Radikalität, die ihnen vorgeworfen wird, nur die andere Seite der Medaille der Radikalität ist, mit der wir wegschauen und die Handlungsdringlichkeit ignorieren. Ihre Blockaden stehen symbolisch für unsere eigenen Blockaden. Für den Trotz, mit dem wir uns gegen etwas stellen, das kaum mehr aufzuhalten ist. Oder, um es mit den Worten des stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzenden, Wolfgang Kubicki, zu sagen: „Ich dusche so lange, bis ich fertig bin.“ Also kurz: Nach mir die Sintflut.
Die Kosten der anderen
Und damit zurück zur Freiheit und zu zwei Aspekten, die sie prägen. Als Menschen der Aufklärung wissen wir, dass die Freiheit des einen dort endet, wo die des anderen beginnt. Diesen Aspekt ignorieren wir insofern, als dass wir unsere Freiheit schon lange auf Kosten derer ausleben, die weit weniger zur globalen Klimakrise beitragen. Konkret in Zahlen ausgedrückt, heißt das, dass die G-20- Staaten für rund 80 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich sind, während zum Beispiel der Anteil von Puerto Rico bei 0,01 Prozent liegt. Ein massives Ungleichgewicht, das sich leicht ausblenden lässt, wenn die hungernden Kinder oder die ausgetrockneten Felder nur kurz in den Nachrichten gezeigt werden. Aber reden wir nicht über globale Klimagerechtigkeit, sondern bleiben wir im eigenen Land. Auch hier bezahlen schon jetzt einige wenige für den Schaden, den alle verursachen: Die Feuerwehrleute der Freiwilligen Feuerwehren, die immer öfter ausrücken müssen. Waldbesitzer:innen, die ihre Wälder verlieren. Anwohner:innen, deren Wohnstätten durch Flutkatastrophen oder Tornados vernichtet werden.
Freiheit als Möglichkeitsraum
Und die philosophische Betrachtung der Freiheit bei Kant? Die widerspricht im Grunde auf den ersten Blick sich selbst, denn wie kann jemand wirklich frei sein, wenn andere ihn einschränken? Die Frage führt zu einem zweiten Aspekt der Freiheit, der darin liegt, dass wir innerhalb von zwei Polen einen Möglichkeitsraum haben, den wir bespielen können. Frei bin ich also immer dann, wenn ich Ja oder Nein sagen kann, ohne mich zwanghaft für eine Seite entscheiden zu müssen. Frei bin ich, wenn ich weiß, dass ich anders handeln könnte, mich aber aus Gründen dagegen entscheide. Wenn ich aufhöre zu duschen, weil ich mich daran freue, Wasser oder Energie zu sparen. Frei bin ich, wenn ich mein Freiheitsgefühl nicht an äußere Rahmenbedingungen, sondern an mein inneres Erleben knüpfe.
Grenzen der Freiheit
Wer Freiheit im Außen sucht, wird zwangsläufig an Grenzen stoßen. Diese zu verschieben, gehört allerdings zum Wesen des Kapitalismus. Ein Prinzip, das wir als Individuen, die wir in diesem System leben, bereits tief verinnerlicht haben. Allerdings mit einer bitteren Konsequenz: Denn obwohl ich mich als Maßstab meines Handelns begreife, bin ich es nicht, solange mein Handeln nicht einer inneren Vernunft entspringt. Und das tut sie nicht, wenn ich in Konkurrenz- und Leistungsschemen denke. Was ich dann als individuelle Freiheit wahrnehme, ist manchmal nicht mehr als ein eingelöstes Versprechen von Marketingprofis. Aber man gönnt sich etwas – und wenn es nur die perfekte Illusion von Freiheit ist. Das Sinnbild des Marlboro-Mannes, der auf den Werbeplakaten auf einem Pferd sitzend der Sonne entgegenreitet und selbst viel zu früh an Lungenkrebs stirbt.
Dämme brechen, statt sie zu bauen
Dazu kommt, dass das Prinzip der Grenzverschiebung auch nur für jene gilt, die es sich dieses Freiheitsverständnis finanziell und rechtlich leisten können. Allerdings hat auch das Grenzen: Hitze in den Städten, Feuer vor den Städten, Geröll-Lawinen, wo gerade noch Seilschaften auf der Suche nach individuellem Glück und Freiheit waren. Freilich kann man Hänge absichern oder Dämme errichten, um Menschen vor Geröll oder die Küsten vor dem ansteigenden Meeresspiegel zu schützen. Aber was für Dämme wollen wir denn bauen, wenn das Wasser die zwei Meter Anstieg, die bis 2100 schon als sicher gelten, überschreiten wird? Der niederländische Philosoph Rutger Bregman schreibt in seinem Essay „Wenn das Wasser kommt“: „Als Niederländer kann ich sagen: Wenn wir die Küsten bewahren wollen, müssen wir kämpfen. Gegen das Wasser und gegen uns selbst. Gegen unsere Apathie.“ Was für Niederländer:innen gilt, gilt auch für Deutsche: Wenn wir nicht in der Lage sind, uns selbst Grenzen zu setzen, und das als Akt zur Rettung der Freiheit zu begreifen, wird die Klimakrise es tun. Das wird schmerzhafter, teurer und vor allem unabsehbar in der Vehemenz der Veränderungen. Vielleicht nicht mehr für uns, für die nachfolgenden Generationen auf jeden Fall. Also brechen wir die Dämme der Ignoranz doch lieber auf, dann müssen wir keine bauen, die uns vor dem Meer schützen.
fürs DEMOS MAG
Du willst das DEMOS MAG unterstützen, weil guter, diverser Journalismus Dir am Herzen liegt und Du auch denkst, dass Demokratie keine Selbstläuferin ist? Dann spende einmalig mit einer eSpende oder werde Abonnent:in auf Steady.
Fördere mit uns den gesellschaftlichen Diskurs und gib mit Deiner Spende den im Mainstream unterrepräsentierten Stimmen mehr Gewicht.