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Demokratie wird in der Schule gelernt

Oder eben nicht.

Die Welt um uns herum scheint immer widersprüchlicher und fragiler und die Herausforderungen, die insbesondere die jüngeren Generationen voll treffen werden, sei es die Klimakrise, seien es soziale und kulturelle Konflikte, internationale Konflikte oder eine angeschlagene Demokratie, sind immens.

In vielen Debatten, an denen ich im schulischen Kontext teilnehme, wird die Frage gestellt, wie unsere Schulen auf eine Zukunft vorbereiten können und sollen, die absehbar komplexer und konfliktgeladener wird.

Ich bin davon überzeugt, dass das gelingen könnte, indem sie sich endlich demokratisieren. Dass eine demokratische und inklusive Gesellschaft also nur erreicht werden kann, wenn schon Schüler:innen lernen, dass sie keine homogene Masse sind, sondern dass es unterschiedliche Ansichten zu Themen gibt, und wenn sie lernen, sich gegenseitig zuzuhören. Schule kann Kinder und Jugendliche darin bilden,  Unterschiede zu besprechen und Kompromisse zu finden, die nicht allein auf dem Willen der jeweiligen Mehrheit basieren. So könnten sie lernen, dass zwar eine Mehrheit entscheidet, dass diese dann aber in der Pflicht ist, die jeweilige Minderheit gleichberechtigt teilhaben zu lassen. So könnten sie auch lernen, dass ihre Beteiligung tatsächliche Relevanz und Auswirkungen hat.

„Ich bin überzeugt, dass es allen hilft, wenn Schüler:innen lernen, wie Demokratie funktioniert, indem sie sie praktisch ausüben.“

Ich bin überzeugt, dass es allen hilft, wenn Schüler:innen lernen, wie Demokratie funktioniert, indem sie sie praktisch ausüben. Indem sie darüber mitentscheiden, wofür die eigene Schule Geld ausgibt, welche beruflichen Professionen neben Lehrkräften an einer Schule arbeiten, wann der Unterricht beginnt, welchen Schwerpunkt ihre Schule ausarbeitet, was in der Hausordnung steht, ob Tablets angeschafft werden und vieles mehr.

Woran es (bisher) scheitert

Der Punkt ist: All das dürfen Schüler:innen (und auch Eltern) in Berlin heute schon. Nur leider wird es an sehr vielen Schulen einfach nicht gelebt. Warum nicht? Weil es Bedenkenträger:innen gibt, die meinen, Schüler:innen würde man damit überfordern (statt Prozesse anzubieten, die auch Schüler:innen Teilhabe und Willensbildung ermöglichen). Und weil die Berliner Bildungsverwaltung ihr eigenes Schulgesetz nicht hinreichend ernst nimmt und keine systematische Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung in Bezug auf die „Demokratische Schule“ betreibt. Dazu kommt, dass es kaum bis keine Konsequenzen hat, wenn Schulleitungen (nicht alle, aber zu viele) die Arbeit ihrer Schüler:innen – und übrigens auch Elternvertretungen – nicht ernst nehmen oder gar untergraben. Nicht selten leidet das System zudem daran, dass Eltern ihre eigenen Vertretungen nicht ernst genug nehmen, was zur Folge hat, dass es auch andere nicht tun.

 

Eine Demokratie gut verdienender Akademiker:innen

Kind fährt Fahrrad
Teilhabe von Anfang an ©Marco Fechner / Oben: Die Politik ist in der Pflicht © Marco Fechner

Zu dieser allgemeinen Schieflage kommt eine Spaltung zwischen den Bildungsmilieus hinzu. Nicht nur, dass die demokratische Beteiligung an Schulen, die mittlere oder untere Schulabschlüsse anbieten, nach Erfahrung der Elternvertretungen tendenziell noch niedriger ausfällt als an Gymnasien, setzt sich dies auch nach der Schulzeit fort. Dazu stellte die Bundeszentrale für politische Bildung mit Blick auf die Bundestagswahl 2009 fest:

„Je höher das Bildungsniveau, umso höher auch die Wahlbeteiligung – das gilt für alle Altersgruppen. Bei der Bundestagswahl 2009 gaben z. B. nur knapp 58 Prozent der 18-34-Jährigen ohne beruflichen Abschluss ihre Stimme ab, aber fast 88 Prozent der Gleichaltrigen mit Hochschulabschluss.“ Und die Bertelsmann-Stiftung kommt zu dem Schluss: „Die Milieuzugehörigkeit bestimmt die Höhe der Wahlbeteiligung. Nichtwählerhochburgen finden sich dort, wo die sozial schwächeren und prekären Milieus dominieren, während gleichzeitig die Milieus der Ober- und Mittelschicht überdurchschnittlich häufig wählen.“

Aus den Berichten der OECD ist bekannt, dass Deutschland zu den Industrieländern gehört, in denen die soziale Herkunft der Eltern die meisten Auswirkungen darauf hat, welchen Schulabschluss ihre Kinder später erreichen werden. Das deutsche Bildungswesen versagt an dieser Stelle dramatisch. Nicht nur, dass Schüler:innen aus nichtakademischen Milieus es sehr schwer haben, einen höheren Schulabschluss zu erreichen, sie sind und werden auch in der demokratischen Beteiligung benachteiligt.

Die beschriebene Spaltung endet also nicht bei der Wahlbeteiligung, sondern geht bei der Frage der praktischen Beteiligung in der Politik weiter. Die Bundestagsverwaltung stellte fest, dass 82,3 Prozent der Bundestagsmitglieder der achtzehnten Wahlperiode einen „höheren Bildungsabschluss“, aber nur 6,7 Prozent die Mittlere Reife, 1,6 Prozent einen Hauptschulabschluss und 2,1 Prozent einen Berufsfachschulabschluss hatten.

 

Ansätze zur Lösung

Diese Schieflage halte ich für einen wesentlichen Grund, warum sich viele Menschen nicht mehr gesehen fühlen und oft auch faktisch von „der Politik“ nicht gesehen und adressiert werden, was ein Einfallstor für politischen Populismus und mitunter auch politischen Extremismus ist. Sie wäre dadurch zu beheben, dass insbesondere junge Menschen systematisch befähigt werden, sich demokratisch zu beteiligen.

Das funktioniert, indem ihnen erlebbar gemacht wird, dass Politik und Gesellschaft nicht erst im Bundestag gestaltet werden, sondern schon im Kleinen vor Ort. Wenn in der eigenen Schule entschieden werden muss, ob man lieber später mit dem Unterricht anfängt, was dann aber auch Auswirkungen auf den Vereinssport am Nachmittag haben kann. Ob man Geld für Smartboards oder für eine Kunst-AG ausgibt oder ob man lieber Fahrradbügel oder Tischtennisplatten für den Schulhof finanzieren möchte. Schüler:innen müssen lernen und erleben können, dass Demokratie mehr ist als die Stimmabgabe bei einer Bundestagswahl oder das Handheben, wenn die Schulleitung eine Idee vorstellt, die das Kollegium beschlossen hat.

Magazin Grundgesetz, Demokratie mit Farbkasten und Pinsel
Demokratie gestalten ©Jeannette Hagen

Das setzt voraus, dass auch Eltern ihre Elternvertretungen ernst nehmen und Beteiligung einfordern, die mehr ist als das Bestätigen von bereits getroffenen Entscheidungen, und das setzt voraus, dass auch Schulen das Thema ernst nehmen. Man kann nicht von engagierten Lehrkräften Demokratie unterrichten lassen und Schüler:innen und auch Eltern, wenn es in den Gremien um konkrete Schulgestaltung geht, zu Statist:innen degradieren. Hier sind vor allem Schulleitungen und die Kultusministerien in der Verantwortung, Qualitätsstandards zu entwickeln und Qualitätssicherung zu betreiben. Und Eltern und Schüler:innen brauchen eine Handhabe, wenn sie in den Gremien übergangen werden. Es gibt also kein Erkenntnis- oder Gesetzgebungs-, sondern ein Umsetzungsdefizit.

Kein „Add-on“

„Schulische Demokratie“ wird häufig für ein nettes Add-on gehalten, das man machen kann, wenn gerade nichts Wichtiges ansteht. Tatsächlich ist es aber nicht nur mehr als das, sondern eine Voraussetzung dafür, dass unsere Gesellschaft diskurs- und entscheidungsfähig bleibt und bleiben kann. Mal abgesehen davon, dass es darum geht, Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, den Ort, an dem sie sehr viel Lebenszeit verbringen, mitzugestalten.

Das mag abstrakt klingen, aber ob das funktioniert, werden wir sehr konkret erleben. Die demokratische Zukunft dieses Landes wird in den Schulen sehr maßgeblich mitentschieden und deshalb lohnt es sich, sich dort zu engagieren, zu streiten und mitzuentscheiden. Und wenn die eigene Eltern- oder Schüler:innenvertretung ein „Laberverein“ ist, lohnt es sich erst recht, sich dort einzubringen.

Es hat ja niemand gesagt, dass Demokratie leicht sein muss.

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Marco Fechner ist Vater und Elternvertreter und setzt sich unter anderem als stellvertretender Vorsitzender des Bezirkselternausschusses Pankow und Mitglied des Landesschulbeirats Berlin für eine Demokratisierung der Berliner Schulen ein. Seit Kurzem betreibt er den Podcast „Herr Fechner lädt zum Gespräch“, in dem er Bildungspolitiker:innen und inner- und außerschulische Akteur:innen einlädt.
Foto: ©Marco Fechner

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