Orte des Wandels
Teil 2: Wenn es bUm in Kreuzberg macht
In dieser Serie stellen wir Orte vor, an denen gesellschaftlicher Wandel passiert, erdacht, diskutiert und entwickelt wird.
An wenigen Orten ist der Wandel derart in die Geschichte des Ortes manifestiert wie hier. Das ehemalige Umspannwerk in bester – will sagen: teuerster – Lage am Paul-Lincke-Ufer in Berlin-Kreuzberg. Noch bis 1989 verwandelte sich hier starker in haushaltsgerechten Strom – die Spannung wurde reduziert.
Nach einer langen aufwendigen Sanierung stieg die Spannung wieder, als der britische Immobilienfonds Avignon Capital 2016 das Gebäude erwarb. Denn schnell fanden sich Mieter:innen wie Red Bull, der Energydrink- und Medienkonzern des österreichischen Rechtspopulisten Dietrich Mateschitz, oder ein hochpreisiges Restaurant.
Protest und Wut von Angehörigen der Kreuzberger linken Szene entluden sich jedoch erst, als der US-amerikanische Konzern Google als Mieter für die letzten 3.000 Quadratmeter bekannt wurde und hier mit seinem Google Campus einziehen wollte. Viele der Protestierenden sahen hier nun einen weiteren Meilenstein in der Gentrifizierung der Gegend und wehrten sich mit Demonstrationen bis hin zur kurzzeitigen Besetzung der Baustelle.
Ohne Google würde es heute kein bUm geben
Was nun genau Google so viel schlimmer macht als Red Bull und ob nicht das Nobelrestaurant ein deutlicherer Beleg für die Gentrifizierung und den allgemeinen Preisanstieg im Kiez ist, ist nie abschließend geklärt worden. Es ging vermutlich um die Symbolik. Denn der Zuzug der 10 Google-Mitarbeiter:innen hätte wohl die ohnehin explodierenden Mieten rund um das Paul-Lincke-Ufer auch nicht mehr beeinflusst und die Mitarbeiter:innen der Start-ups, für die der Konzern den Campus gedacht hatte, schon gar nicht: Die können sich diese Mieten mit Sicherheit nicht leisten.
Schließlich – so die Legende – beugte sich Google dem unbeugsamen Widerstand des kleinen preußisch-internationalen Dorfes (Kreuzberg) und aus dem Google Campus wurde ein gemeinnütziger Raum. Nun, nein. Wie so oft, lohnt es sich für einen differenzierten Blick, etwas genauer hinzuschauen. Offiziell zog sich Google als Mieter keineswegs zurück – und ganz wichtig: Hätte Google das getan, gäbe es das bUm an diesem Ort vermutlich nicht.
Hä?! Ja, nun. Offiziell ist Google weiterhin Mieter der 3.000 Quadratmeter, die durch betterplace und Karuna als bUm genutzt werden. Der „böse“ Konzern Google stellt den gemeinnützigen Organisationen die Fläche kostenlos zur Verfügung.
Und zwar unter anderem deshalb, weil Karuna und betterplace anders als die Protestgruppen die Gesprächseinladungen von Google nicht ausschlugen, sondern annahmen. Karuna, das ist eine Sozialgenossenschaft, die sich „gesellschaftliches Entwicklungslabor“ nennt. Tatsächlich hilft die Initiative heimatlosen Jugendlichen und anderen Menschen ohne Obdach so wie aktuell auch insbesondere Geflüchteten.
Und das betterplace lab ist ein „digital-sozialer Think-und-Do-Tank“, der sich als „die Schwester von betterplace.org, Deutschlands größter Online-Spendenplattform“ bezeichnet.
Co-Working, Meditation und Sonne
Eva Mörchen ist Geschäftsführerin des bUm und weiß die Privilegien durch Google zu schätzen: „Es gibt kaum einen Ort mit so einer hochwertigen Infrastruktur, so zentral und vor allem ohne wirtschaftlichen Druck – die Mieten sind in Berlin einfach zu hoch. Viele andere Orte mussten in der Pandemie sehr ums Überleben kämpfen. Dadurch, dass Google für 5 Jahre die Miet- und Nebenkosten zahlt, waren wir in dieser Hinsicht sehr privilegiert und mussten nicht um unsere Existenz bangen.“
Im Co-Working und Event-Bereich des bUm arbeiten heute Menschen aus und für gemeinnützige Projekte, Initiativen, Organisationen oder Unternehmen. Das wird überprüft und kontrolliert sich auch von selbst: Denn hier arbeiten die Menschen nicht nur nebeneinander her. Gemeinsame Workshops, Meditationen, Yoga oder aber auch das köstliche Mittagessen aus dem integrierten Dinette Café sorgen dafür, dass die so genannte „bUmunity“ gestärkt wird.
Besonders beliebt ist das Zusammentreffen und Arbeiten auf der oft sonnigen Terrasse mit Blick auf den Landwehrkanal. Mit fairen und solidarischen Preisen, die durch finanzstärkere Co-Worker:innen querfinanziert werden, ist das bUm eine attraktive Alternative zu teuren Co-Working-Spaces, in denen Klischees und Attitüden gepflegt werden: also Hipster, Rennrad und Co. So ähnlich, wie sich manch Kreuzberger Urgestein den Google Campus vorgestellt hatte. Dessen Wandel in einen Ort für gemeinnützige und soziale Arbeit war übrigens schon längst beschlossen, als die Protestierenden die Baustelle besetzten.
Doch das bUm ist viel mehr als seine lebendige Vergangenheit. Seit der Eröffnung 2019 – unterbrochen durch die andauernde Pandemie – arbeiten Eva Mörchen und ihre Kolleg:innen daran, die Zukunft des Ortes zu gestalten: „Zivilgesellschaftliches Engagement kann und muss einen wichtigen Beitrag für den gesellschaftlichen Wandel leisten. Die großen Krisen unserer Zeit erfordern unser aller Einsatz. Wir müssen gesellschaftlich mehr zusammenrücken, um gemeinsam die Probleme anzugehen, die alleine unlösbar sind. Dafür braucht es Orte, in denen intersektorale Kollaboration gestärkt, gegenseitiges Lernen und Inspirieren ermöglicht und regenerative Kultur gelebt wird. Orte zum Sichverbinden und -verbünden für eine gerechtere Welt. Und es braucht sie langfristig, nicht nur für fünf Jahre.“
Mehr Infos zum bUm und wie ihr es nutzen könnt, findet ihr hier.
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