Brezeln in einem Korb

Schmeckt Hummus mit Brezel gut?

Eine geschmackliche Spurensuche nach Identität

Ist die deutsche Leitkultur die Bibel der Migrant:innen? Bin ich ein Syrer mit deutschem Pass oder ein Deutscher mit Migrationshintergrund? Fragen, die sich so ähnlich viele mit Migrationsgeschichte mal gestellt haben.

 

Nach zwei Jahren, in denen ich bereits in Deutschland gelebt hatte, stand ich am Hauptbahnhof in Frankfurt. Ich war müde und durchgeschwitzt. Kein Wunder, denn ich kam gerade von einer 13-stündigen Zugfahrt aus Italien zurück, meiner letzten Station einer zwei-monatigen Europareise. In Frankfurt angekommen, bin ich mit voller Freude zu einem Bäcker gerannt und habe mir eine Brezel geholt. Ach, diesen laugig-salzigen Geschmack hatte ich so vermisst.

Ich saß also am Gleis auf dem Weg nach Hause, eine Brezel in der einen Hand, einen Kaffee in der anderen. Das war der Moment, in dem ich verwirrt war, weil ich meine Gefühle, meine Sehnsucht nach der Brezel, nicht einordnen konnte. War das Heimweh? Bin ich etwa Deutscher geworden? Durchlebte ich eine Art von Identitätsverlust? Ich muss zugeben: Ich hatte schon immer große Angst, meine syrische Identität mit der Zeit zu verlieren. Dennoch war ich gleichzeitig glücklich. Denn mein Zug fuhr endlich ein. Mein Zug nach Hause.

 

„War das Heimweh?

Bin ich etwa Deutscher geworden?“

Ich bin in dem Land, wo es überall nach Jasmin riecht, aufgewachsen. Das Land mit einer reichen Kultur und einer der ältesten Zivilisationen der Welt. Morgens vor der Arbeit startete ich mit einem arabischen Kaffee und Fairuz in den Tag. Fairuz ist eine Sängerin, die fast jede:r in den arabischen Ländern kennt. Sie hat eine melodische und ruhige Stimme. Ich bin stark mit der syrischen Kultur verbunden. In meinem Herzen schlägt eine riesige Liebe zur syrischen Gastfreundschaft, zu dem Essen und vor allem zur Musik. Das Land des Jasmins hat mein 27-jähriges Ich geformt und geprägt.

Nicht zu glauben, dass schon nach sechs Jahren Deutschland ein Teil von mir sehr typisch deutsch geworden ist. „Ahmad, verdammt, du bist mehr deutsch als ich“ oder „Ahmad Müller“. Diese Sätze höre ich immer wieder von meinen deutschen Freund:innen.

Die deutsche Kultur hat einen starken Einfluss auf mich. Ich freue mich immer auf Karneval, auf Weihnachtsmärkte und die Spargelsaison. Ich nehme meine Regenhose und Regenjacke immer mit – nach dem Motto „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“. Ich liebe Weihnachtsgeschenke und jammere bei meiner Gastmutter, wenn der Weihnachtsbaum klein ist und die Geschenke nicht darunter liegen.

Schon von Anfang an war ich in Deutschland hin- und hergerissen. Ich wusste nicht, wohin mit meinen Gefühlen. Einerseits möchte ich mich in Deutschland integrieren, ein Teil dieser Gesellschaft werden und Anerkennung und Zugehörigkeit bekommen. Andererseits wollte der 20-jährige Syrer, der ich war, sein Ich nicht verlieren. Ich hatte immer im Kopf, dass, wenn ich mich richtig in dem neuen Land anpassen wollte, ich mein altes Ich abgeben und meine Identität löschen musste. Diese Idee hat mich lange begleitet – und überfordert.

Ich sehe in meinem Umfeld, wie ich mittlerweile zahlreiche deutsche Freund:innen beeinflusst habe. Viele von ihnen hören mittlerweile arabische Musik, essen sehr gerne syrisch, können besseren Hummus machen als ich. Sie kaufen gerne Petersilie und würzen das Essen mit Kreuzkümmel. Genauso wie sie ihren Einfluss auf mich haben. Ich freue mich wie ein kleines Kind, wenn meine Mitbewohner:innen Käsespätzle oder Maultaschen selbst machen. Ich bekomme Gänsehaut und Heimweh, wenn ich das Lied „Tommi“ von AnnenMayKantereit höre, in dem ein Deutscher darüber singt, wie er Köln vermisst. Weder bin ich in Köln geboren noch bin ich die ersten 20 Jahre meines Lebens in Köln gewesen. Aber jedes Mal fühle ich mit ihm.

Deutsche Gänsehaut

 

„Warum nicht Hummus mit einer Brezel? Syrisch oder deutsch – ich kann beides sein.“

Und dann kam Thomas de Maizière. Der damalige Innenminister wollte im Jahr 2017 mit einigen Thesen zu einer Diskussion über eine deutsche Leitkultur einladen. Unter anderem ging es in dem ersten von insgesamt zehn Punkten um deutsche Höflichkeit. „Wir sagen unse­ren Namen. Wir geben uns zur Begrüßung die Hand“, stand da drin.

Damals klang „Leitkultur“ für mich wie eine Integrationsleitlinie. Obwohl ich einige Punkte als etwas Selbstverständliches sah, stehe ich dem Begriff „Leitkultur“ an sich skeptisch gegenüber. Selbstverständlich soll es Regeln und Werte wie Demokratie, Meinungsfreiheit oder keine Gewalt geben. Diese Werte stehen aber im Grundgesetz, und an die müssen sich alle in Deutschland halten – ob es eine Leitkultur gibt oder nicht. Solch eine vorzuschreiben und Migrant:innen wie mir vorzustellen, finde ich dennoch kritisch. Gehöre ich nicht zum „Wir“, wenn ich die deutsche Leitkultur nicht hundert Prozent befolge?

Im Sommer 2017 saß ich in der Mensa mit einer Freundin, als wir anfingen, über unser Frühstück zu reden. Mein typisches Frühstück war eine Scheibe Käse, dazu Marmelade mit leckerem deutschen Brot und oft eine Brezel. Ihres war im Gegenteil arabisches Brot mit Hummus. Warum kombinieren wir nicht unser Frühstück? Warum nicht Hummus mit einer Brezel? Syrisch oder deutsch – ich kann beides sein. Dies klingt doch viel schöner!

Also, liebe Politiker:innen, warum erweitern wir nicht die Leitkultur? Anstatt sich nur die Hand zur Begrüßung zu geben, könnten wir sie beispielsweise kombinieren und den Menschen zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange geben, wie es in Südamerika oder Syrien üblich ist. Ich bin mir sicher, dass das unser Zusammenleben in Deutschland verbessern würde.

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Ahmad Kalaji ist 27 und Student der Neuropsychologie und Mitarbeiter im Gesundheitsamt. Ahmad ist wichtig, miteinander, anstatt aneinander vorbeizuleben. Er fühlt sich sowohl deutsch als auch syrisch und glaubt stark daran, dass man viele Kulturen lieben und leben kann, ohne dass man sich für entschieden muss.
Foto: ©Julius Matuschik

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