Neue Bilder braucht das Land

Wie wir unser Denken verändern können für ein Leben in Vielfalt.

Es braucht nicht viel, um die Gemüter zu erhitzen. Eine selbstbewusste Schwarze Tatort-Kommissarin reicht vollkommen aus. Dabei konzentrieren sich die Facebook-Kommentare nach dem ersten Tatort mit Florence Kasumba gar nicht so sehr auf ihre Hautfarbe, sondern vielmehr auf ihre Rolle: „absolut unsympathisch“, „total durchgeknallt“ und so weiter. Ihre Rolle passt nicht zu der gelernten Sehgewohnheit und vor allem nicht ins klischeehafte Gedankengerüst: Schwarz, Frau, selbstbewusst und Kommissarin – viele Brüche mit bisher gelernten Bildern für eine Vielzahl der Zuschauer. Eine Irritation wurde ausgelöst mit dem 2019 ausgestrahlten Tatort mit Frau Kasumba als erste schwarze Ermittlerin in der beliebtesten Krimi-Reihe Deutschlands.

Ganz schön spät für das aufgeklärte 21. Jahrhundert? Kasumbas Tatortdebüt schauten circa neun Mio. Zuschauer – eine beachtliche Quote, wenn selbst die Lieblinge aus Münster bestenfalls auf 13 Mio. kommen. 

Nun kann man sagen, dass es schon Schwarze im deutschen TV gibt und sogar schon seit Langem. Nur leider tauchen sie aber oftmals in den bekannten klischeebehafteten Rollen auf. Man erinnere sich nur an die Rollen in OTTO, der Film. Heute sind PoC auch mal Co-Ermittler oder besetzen kurze Rollen als Pathologen in Krimis, oder Assistenzen, aber tragende Rollen, die bewusst mit den Klischees brechen, sind eher selten. 

Der Göttinger Tatort mit Florence Kasumba ist der erste einer neuen Entwicklung. Bisher sind es vereinzelte Ansätze, in denen Vielfalt nicht das Thema, sondern gelebte Normalität ist. Nachtschicht vom ZDF oder der neue Bremer Tatort mit Dar Salim als Ermittler sind gute Beispiele für diese Entwicklung weg vom Klischee der zuarbeitenden PoCs hin zur tragenden und handlungsbestimmenden Rolle.  

Es geht mir nicht um Vielfalt in Form eines bloßen Aufzählens, wie viele Menschen mit Migrationserfahrung oder PoC in einem Film oder einer Serie zu sehen sind, sondern um das bewusste Brechen mit althergebrachten Bildern und Stereotypen. Ich bin davon überzeugt, dass das Zeigen von neuen Role Models in den Medien, die mit Klischees brechen, unser Denken – und gerade auch bei Kindern – verändert. Ich nenne es gern den „Grey’s Anatomy-Effekt”. Die amerikanische Serie, die (erst) 2006 – man könnte meinen, es gäbe sie schon ewig – ins deutsche Fernsehen kam, versucht mit allen Mitteln Vielfalt als visuelles Stilmittel zu nutzen. In den USA ist es in Serien und Filmen eigentlich üblich, dass Schwarze und weiße jeweils unter sich bleiben, vor allem auch in Liebesbeziehungen. Bei Grey’s Anatomy wurden nach Belieben Beziehungen und Verbindungen gezogen, bis gefühlt auch der letzte Zuschauer verstanden hat, dass in der Serie versucht wird, ein neues offenes Weltbild zu vermitteln. Es waren damals neue Bilder, die in der Intensität so noch nicht bekannt waren. Nicht nur in den USA, vor allem auch in Deutschland. 

Stereotypen sind unsere Schubladen im Kopf, die jede:r in sich trägt. Ob Schwarze oder die verpönten alten weißen Männer, Schubladen sind Teil unseres Denkens. Und das große Problem mit Stereotypen: Sind sie einmal verankert und erlernt, setzen sie sich im Kopf fest und werden nur selten revidiert. Wir sehen eine Person schemenhaft aus der Ferne, und unser Gehirn schreibt ihr sofort ein gelerntes Geschlecht zu. Diese Form des Denkens und Verknüpfens von Signalen verurteile ich nicht per se, sie vereinfacht unseren Umgang mit Menschen. Ich sehe jemanden, mache meine Schublade im Hirn auf und versuche anhand meines Eindrucks einen passenden Einstieg ins Gespräch zu finden. Das Problem beginnt mit der Vorverurteilung von vermeintlichen Gruppen, die unser Gehirn fälschlicherweise zusammenbündelt. Getreu dem Motto: Meine Tochter geht ins Ballett statt zum Kick-Boxen. Stereotypen und Klischees basieren auf Generalisierungen, wir packen Menschen in Gruppen und urteilen über sie, was zu diskriminierendem Handeln führen kann.

Das Pseudowissen über soziale Gruppen, auf denen Stereotype basieren, wie beispielsweise, dass alle Schwaben fleißig sind und Geld sparen, wird immer wieder angefüttert von klischeehaften Bildern. Diese suchen wir bewusst wie auch ganz unbewusst in den Medien und der Öffentlichkeit, also dann, wenn unser Gehirn die Bilder so deuten möchte, wie es zu unserem erlernten Weltbild passt. Mein Wunsch, durch die Sichtbarkeit von Diversität mittels Role Models, die mit Stereotypen bewusst brechen, vorurteilsbehaftetes Denken zu verringern, mag trivial klingen. Dass es aber ein richtiger Weg ist, zeigt sich in autokratischen Staaten. So schwingt bei Machthabern in Ländern wie Russland, Ungarn oder der Türkei stets die Sorge mit, dass junge Menschen zu stark von liberalen Weltbildern in Netflix-Serien beeinflusst werden könnten.  

Wir müssen also alle unsere Vorurteile fortlaufend reflektieren und überprüfen. Vorurteile sind Teil unseres Denkens und werden für mich als Schwarzer in einer meist unreflektierten weißen Gesellschaft ein Problem, wenn meine Hautfarbe bewusst oder unbewusst negative Assoziationen auslöst. Vorurteile sind das Einfallstor für Diskriminierung und der Nährboden für Rassismus. Diese Denkmuster können nur durchbrochen werden, wenn wir ihnen lang genug und konsequent andere Bilder entgegensetzen. Menschen, und vor allem Kinder, lernen durch Beobachtung, durch das Gesehene und durch Menschen, die sie kennenlernen. Die Assoziationen, die im Kopf entstehen, sollen neue Verknüpfungen erzeugen: Ich, ein Schwarzer, kann total schlecht tanzen. Ich bin ein gewöhnlicher Familienvater, der nicht auf jeder Feier davon erzählen möchte, wo er herkommt. Ich komme nämlich aus Ostfriesland und fahre gern Kajak.

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Pierrot Raschdorff ist Marketingleiter und Diversity-Experte. Er hält seit einigen Jahren Vorträge und Workshops zum Thema Diskriminierung und Rassismus.

Foto: ©Weiland

Fotografin aus Leidenschaft. Wenn sie jemand fragt was bedeutet für dich Glück, sagt sie: „Nicht einschlafen können, weil ein neues Projekt vor meinen Augen erscheint und es mir in den Fingern kribbelt, weil ich es sofort ausarbeiten und verwirklichen möchte."

Foto: ©Felicitas Jander

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