‚AfD Richter‘ und ‚Schleiereulen‘

Demokratie ja – aber nur ohne Kopftuch

Im letzten Jahr bestürzte eine Nachricht zahlreiche Bürger:innen – bei einer bundesweiten Großrazzia wurden 25 mutmaßliche Reichsbürger:innen festgenommen. Einer der größten Polizeieinsätze der Bundesrepublik. Ziel der Gruppe war nicht weniger als der gewalttätige Sturz des politischen Systems. Laut Angaben der Polizei waren mehr als 3000 Beamte an den Durchsuchungen und Festnahmen beteiligt. Unter den Beschuldigten: Birgit Malsack-Winkemann. Die frühere AfD Bundestagsabgeordnete war seit ca. 30 Jahren als Richterin im Berliner Gericht tätig. Für ihren Sitz im Bundestag legte sie eine Pause ein.

Als sie im März ihre Stelle wieder antreten wollte, wurde dies von der Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) angefochten. Das Dienstgericht für Richter wies allerdings diesen Antrag mit Verweis auf das Grundgesetz im Oktober zurück. Jetzt, nachdem klar ist, wie demokratiefeindlich Malsack-Winkemann agierte, werden allgemein Forderungen für einen stärkeren Schutz des Bundestags lauter. Die Welt spricht im Zusammenhang mit Malsack-Winkemann sogar von „Justizversagen“. 

Die fehlende Sicherheit des Bundestags und die offensichtlich mangelhafte Arbeit der Justiz sind jedoch nicht die einzigen Schlussfolgerungen, die es aus diesem Vorfall zu ziehen gilt. Malsack-Winkemann ist nicht die einzige Richterin mit einem rechtsextremen Hintergrund. So twitterte ihr Kollege Jens Maier: „Wenn Angeklagte ‚AfD-Richter‘ fürchten, haben wir alles richtig gemacht.“ Auch er war lange als Richter tätig. Erst als er mit Aussagen, dass ein Deutscher mit dunklerer Hautfarbe für ihn ein – hier benutzt er das N-Wort –  wäre oder Kopftuch tragende Frauen „Schleiereulen“ seien, auffiel, wurde er vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Das Schlimme dabei ist aber nicht, dass er jahrelang als Richter arbeitete und, nachdem er aufflog, seine Pension noch genießen darf. Hinzu kommt noch, dass die von ihm als so abwertend bezeichneten „Schleiereulen“ nicht einmal die Chance bekommen, ins Richteramt zu gelangen.

©Verena Siggelkow

Darum die Frage: Wie kann es möglich sein, dass Malsack-Winkemann und Maier jahrelang als Richter tätig sein konnten – auch nachdem sie als Abgeordnete der AfD im Bundestag tätig waren – eine kopftuchtragende Frau aber oftmals nicht einmal für das Referendariat zugelassen wird?

Reichsbürger:innen im Staatsdienst

Wer jetzt mit dem Argument des Whataboutism kommt, sollte sich in Erinnerung rufen, wo der Ursprung des Kopftuchverbotes für Beamtinnen liegt. Ein Polizeibeamter fiel durch seine Nazi-Tattoos auf und löste damit eine Debatte über das äußere Erscheinungsbild von Beamt:innen aus.

Neben Tattoos gelten seitdem auch religiöse Symbole als einschränkender Faktor für die berufliche Beamtenlaufbahn. Schon 2021 sagte Christine Buchholz voraus, dass dieses Gesetz vor allem muslimische Frauen treffen werde. Tatsächlich resultierte daraus, dass kopftuchtragende Frauen als Richterinnen aktuell nicht tätig sein dürfen. Sie müssen ihr Kopftuch ablegen. Die Begründung: Das Kopftuch wäre nicht kompatibel mit dem Neutralitätsgesetz. Einer Frau, die – aus welchen Gründen auch immer – ein Kopftuch trägt, wird also per se unterstellt, nicht neutral gegenüber dem Staat zu sein. Sie bekommt nicht einmal die Chance, sich zu beweisen. Demgegenüber haben wir eine Richterin, die jahrelang als Mitglied der AfD im Bundestag saß und – ganz nebenbei – einen Putschversuch plante. Damit nicht genug: Laut der Frankfurter Neue Presse war ein Reichsbürger, der in einem Video Gewaltbereitschaft signalisiert hat, insgesamt 103 mal für das Amtsgericht Friedberg als psychiatrischer Gutachter tätig. Der Bayerischen Rundfunk berichtet von 16 Reichsbürger:innen im Staatsdienst. Und das in nur einem der 16 Bundesländer. Spätestens jetzt sollte die Absurdität des Neutralitäts-Argumentes klar werden.

Mythos Neutralität

Die bloße Annahme, es gäbe absolut neutrale Personen, sollte schon stark angezweifelt werden. Der Versuch, eine solche Neutralität an der Kleidung auszumachen, ist schlichtweg absurd. Wie kann Kleidung neutral sein, wenn nicht einmal der Mensch neutral ist? Es gibt keine neutrale Kleidung. Eine Frau,  die ihre Haare zeigt, ist allgemein betrachtet genauso wenig neutral wie eine Frau, die ihre Haare bedeckt. Letztere ist nur in den Augen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe nicht neutral. Sollten Gesetze jedoch nicht für alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft und Religionsangehörigkeit, sein?

Diversität in der Gesellschaft ist in Deutschland längst Realität. Wenn die Angeklagten verschiedene ethnische und religiöse Hintergründe haben, müssen die Richter diese auch widerspiegeln. Wenn wir Diversität in der Gesellschaft anstreben, muss sie in jedem Bereich des Lebens sichtbar sein, auch im Gericht. Wenn das nicht gegeben ist, wird es immer eine Hierarchie innerhalb der Gesellschaft geben. Eine Hierarchie zwischen den Religionen und letztendlich zwischen deutsch-gelesenen und nicht deutsch-gelesenen Personen.

Fehlende Akzeptanz kopftuchtragender Frauen in höheren Ämtern

Während einer Kampagne, in welcher Vertreter:innen verschiedener Parteien die Möglichkeit hatten, für ihren Sitz im Bundestag zu werben, habe ich diese Vertreter:innen über ihre Meinung zum Kopftuchverbot für Beamtinnen angesprochen. Ein Herr sagte mir, dass Deutschland noch nicht dafür bereit sei, eine Frau mit Kopftuch in einem so hohen Amt, wie das einer Richterin, zu akzeptieren. Je tiefer man da jedoch gehen würde, desto mehr würde die Akzeptanz des deutschen Volkes wachsen. Sprich: Ich darf mit dem Kopftuch Putzfrau werden, eine Richterin aber bitte nicht. Das Bemerkenswerte hierbei war, dass dieser Mann nicht zur AfD gehörte, sondern zu den Freien Wählern. Die fehlende Akzeptanz Kopftuch tragender Frauen ist längst nicht mehr nur in der rechten Szene vorhanden.

Dient dieses Gesetz also dazu, die – nennen wir sie – ‚Alteingesessenen‘ zu besänftigen? Das ist besonders paradox an der ganzen Misere: Durch das Kopftuchverbot für Richterinnen handelt der Staat im Sinne jener Reichsbürger:innen, die ihn zu Fall bringen wollten.

Alltagsrassismus gegenüber kopftuchtragenden Frauen

Ein solches Gesetz führt nicht nur zur kollektiven Ausgrenzung kopftuchtragender Frauen aus dem Richterberuf, es fördert zudem noch den Alltagsrassismus, dem sie in Deutschland ausgesetzt sind. Ein Forscherteam der London School of Economics in Großbritannien und der Universitäten Pittsburgh von Pennsylvania in den USA belegte diese Diskriminierung durch eine Studie. In einem demokratischen Rechtsstaat sollte das Recht zur Selbstbestimmung selbstverständlich sein. Im Fall des Kopftuches ist dies leider in der Praxis oft nicht gegeben. Bevor man sich überhaupt erklären kann, wird man bereits mit Fremdzuschreibungen übersäht. Was man selbst mit dem Kopftuch verbindet ist dann irrelevant. Diese klare Grenzüberschreitung, die die persönliche Ausfaltung behindert, wird durch Kopftuchverbote befeuert und normalisiert.

Demokratie – aber nur ohne Kopftuch

Chancengleichheit ist einer der Grundpfeiler einer freiheitlichen Demokratie. Ich, als Kopftuchträgerin, kann jedoch bestätigen, dass uns diese nicht gegeben ist. Es geht nicht nur um das Richteramt, nicht mal ein schlichtes Praktikum konnte ich mit Kopftuch absolvieren. Freundinnen, Bekannte, Familienmitglieder berichten ständig davon, wie sie trotz ausgezeichneter Qualifikationen aufgrund ihres Kopftuches abgelehnt werden. Fachkräftemangel? Irrelevant, denn Kopftücher wollen viele nicht. Der Staat könnte dem entgegenwirken, indem er sich klar und deutlich von diesem bewiesenermaßen absurden Gedanken distanziert, dass eine Kopftuchträgerin perse nicht neutral gegenüber dem Staat ist.

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Mein Name ist Faiza Ahmad, ich bin 29 Jahre alt und habe islamische Studien im Bachelor studiert. Seit ca. 3 Jahren bin ich als muslimische Seelsorgerin tätig.

Verena Siggelkow ist Wahlberlinerin und Künstlerin. Nach ihrer Ausbildung zur Illustratorin und grafischen Zeichnerin hat sie als Freiberuflerin im Bereich Stop-Motion gearbeitet und sowohl digital als auch analog eigene Illustrationen sowie Kinderbücher gestaltet. Aufgrund ihres Interesses an sozialen Themen, hat sie aufbauend das Studium der Sozialen Arbeit absolviert und setzt sich nun mit der Verbindung von Kunst, Kreativität und Selbstbestimmung auseinander.

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