Natur oder Mensch?
Die Sylter Wanderdüne als Synonym unserer Zeit
Die Wanderdüne auf Sylt gehört zu den letzten in Deutschland. Sie ist beeindruckend schön, soll aber zum Stillstand gebracht werden, weil sie demnächst eine Hauptverkehrsader auf Sylt erreicht. Festsetzen oder wandern lassen – das ist die Frage, an der sich nicht nur die Sylter aufreiben.
Sylt, ein Sehnsuchtsort für viele Touristen:innen. Nicht nur die Nordsee und die Strände, auch die vielfältige Landschaft lockt die Menschen seit jeher an. Sylt hat viel zu bieten, unter anderem ein beeindruckendes Naturschauspiel: eine der letzten Wanderdünen Deutschlands. Die Düne gehört zu einer Wanderdünenkette, die sich kurz vor List, der nördlichsten Gemeinde auf der Insel, befindet. Es ist das größte zusammenhängende Wanderdünengebiet Europas – so groß, dass rund 2500 Fußballfelder hineinpassen würden. Ihr Problem? Sie wandert Richtung Osten. Und zwar drei bis maximal zehn Meter pro Jahr und direkt auf jene Straße zu, die den Norden der Insel mit den anderen Teilen verbindet. Nun könnte man sagen: Wo ist das Problem? Greifen wir eben in die Natur ein und setzen wir sie fest. Aber so einfach ist es dann doch nicht.
Die Wanderdünen: Eine Bedrohung oder ein Inselretter?
Auf Sylt gab es in der Vergangenheit viele Wanderdünen. Sie nahmen ihren Ursprung auf der Westseite (Seeseite), wo sich entlang der Insel ein breiter Strand erstreckt. Von dort aus wurden die kleinen Sandkörner mit dem Wind, überwiegend Westwind, auf die Insel getragen. Im Laufe der Jahre häuften sich die Sandkörner zu Dünen an, die mit starken Winden langsam quer über die Insel getrieben wurden. Die Wanderdünen werden gut 30 Meter hoch und wandern durchschnittlich mit drei Metern pro Jahr in Richtung der Sylter Wattseiten, wo sie dann den Sandverlust von der Seeseite am Wattstrand wieder aufwiegen. Das ist der Grund, warum die schlanke Insel niemals durchgebrochen ist. Aber auf Sylt wandern eben nicht nur Dünen, sondern siedeln sich zunehmend auch Menschen an. Mit der Zunahme von Siedlungen wurde das Verkehrsnetz ausgebaut und plötzlich waren die wandernden Dünen nicht Helfer, sondern Bedrohung. Die Lösung? Fast alle Wanderdünen wurden mit Strandhafer bepflanzt. Dieses Dünengras hält den Sand fest und die Wanderdüne wird zum Stillstand gebracht.
Eine Wanderdüne kreuzt den menschlichen Weg
Das ist ein sehr pittoreskes Motiv und so zücken Inselgäste, die nach List fahren, meist ihre Kameras, um die hoch aufragende weiße Düne, die auf die Straße zuwandert, zu fotografieren. Dass diese Düne nicht nur unglaublich schön, sondern für die Insel von außerordentlicher Bedeutung ist, wissen allerdings die wenigsten. Ließe man die Düne wandern wie bisher, würde sie nach aktuellen Berechnungen in 19 Jahren die Straße nach List blockieren. Es wäre nicht das erste Mal, darum hat man den südlichen Teil der Wanderdüne bepflanzt, sodass die Straße weiter befahren werden konnte. Gleichzeitig ist die Wanderdüne ein Teil des Listlands, welches unter Naturschutz steht und zur Naturschutzzone eins gehört, was bedeutet, dass es strengstens untersagt ist, diesen Bereich zu betreten, damit die Düne nicht zusätzlich zertreten wird. Eigentlich wäre der Sand, würde er an der Wattseite der Insel ankommen, sehr nützlich, denn er könnte für die (sehr teuren) Sandvorspülungen genutzt werden, die an der Westseite immer wieder nötig sind, um die Folgen der normalen Sandabtragung auszugleichen, die in den letzten Jahren durch die Meeresspiegelerhöhung, also den Klimawandel zugenommen hat.
Gibt es Optionen die Wanderdüne wandern zulassen?
Die Landesstraße 24 ist eine wichtige Verkehrsverbindung nach List. Ohne sie wäre List von dem Rest der Insel abgeschottet. Es gibt zwar eine weitere Straße durch die Dünen über den „Ellenbogen“ von Sylt, dem nördlichsten Teil der Insel, aber diese Straße ist sehr schmal, in keinem guten Zustand, müsste saniert werden, was allerdings bedeuten würde, dass der Verkehr durch die Ortschaft gelenkt werden müsste. Die Sanierung wäre sehr kostenintensiv für die Gemeinde und ein Teil der Straße müsste breiter gemacht werden, wodurch ein Eingriff in das Naturschutzgebiet unvermeidbar wäre. Eine andere Option wäre das regelmäßige Freikehren der Straße, was kein Eingriff in den Naturschutz wäre. Dieses Verfahren wäre allerdings eine sehr langwierige Methode, um den Sand von der Straße zu entfernen. Dafür bräuchte es Arbeitskräfte. Des Weiteren gäbe es die Option, eine komplett neue Straße zu bauen, die direkt hinter der Wanderdüne ihre Strecke haben könnte. Aber auch das hätte wieder einen Eingriff in das Naturschutzgebiet zur Folge.
Ein Tunnel auf Sylt?
Als ich im letzten Jahr ein freiwilliges ökologisches Jahr am Alfred-Wegener-Institut auf Sylt absolviert habe, hörte ich in einem Vortrag von Professor Karsten Reise von der Option eines Tunnelbaus. Mich hat die Idee so fasziniert, so dass ich sie wieder aufgegriffen und ein Filmprojekt über die Wanderdüne realisiert habe, als ich für ein Praktikum beim Fernsehsender Sylt 1 war. Der Fokus des Films lag auf dem Weiterwandern der Wanderdüne und auf dem Tunnelbau. Ich schildere das hier in dieser Ausführlichkeit, um an diesem Beispiel zu zeigen, wie wichtig der demokratische Austausch ist, und dass auch die Natur als „Stimme“ darin nicht fehlen darf. Auf meine Initiative arbeitete sich Gerhard Koerver von der Bau-und Immobilienservice Concept GmbH in Hilden in die Materie ein, erforschte, ob bei den Umweltgegebenheiten ein Tunnelbau auf der Insel möglich wäre und welche Tunnelbauvarianten in das Landschaftsbild und bei den gegebenen Umweltbedingungen umsetzbar wären. Nach wochenlanger Arbeit kam er schließlich zu einem Treffen nach Sylt, wo sich die Anwesenden über die Schritte, die erfolgen müssten, informieren konnten. Dazu gehörte unter anderem, eine Bauvoranfrage beim Bauamt des Bundeslandes Schleswig-Holstein zu stellen, die praktisch jeder Bürger:in einreichen kann. Es ist also auch von Bürger:innenseite möglich, solch ein Projekt zu initiieren. Allerdings ist das Ganze mit Kosten verbunden, die bei ca. 8.000 Euro liegen. Nach Zusage müsste sich das Bundesland Schleswig-Holstein einschalten, da es sich hierbei offiziell um eine Landesstraße handelt.
Wandern oder Nichtwandern, das ist die Frage
Der aktuelle Stand ist, dass das Bundesland Schleswig-Holstein in einer Stellungnahme der Option gegenüber, dass die Wanderdüne weiterwandern kann und sie nicht bepflanzt wird, nicht abgeneigt ist. Den Tunnelbau sehen sie momentan noch skeptisch, weil ihrer Ansicht nach der Tunnel nach dem Überwandern der Düne ja nutzlos wäre und hohe Instandhaltungskosten mit sich bringen würde. Aber auch für diese Problematik gäbe es eine Lösung: Man könnte den Tunnel aus Stahlträgern zu bauen, die man hinterher wieder demontieren kann. Dann bräuchte man jetzt nur noch Sponsor:innen für die Bauvoranfrage, den Bauantrag und den Bau des Tunnels. Es wäre der erste Tunnel auf der Welt, der für eine Düne gebaut werden würde.
Chance für Mensch und Natur
Vielleicht fragst Du Dich, was das alles mit Deinem Leben zu tun hat, warum Dich so eine Wanderdüne interessieren sollte. Für die Insel Sylt sind Wanderdünen von großer Bedeutung, denn ohne sie wäre Sylt nicht Sylt. Wanderdünen könnten den Erhalt von Sylt und die künstlichen Sandvorspülungen unterstützen, die die Menschen jährlich an der Seeseite vornehmen. Es ist daher wichtig, dass der Sand nicht in der Mitte von der Insel stehen bleibt, sondern die Wattseite unterstützt und erweitert. Warum also sollten wir die Chance nicht nutzen und auf natürlichem Weg den Sand an die Küste bringen, statt über den künstlichen Weg? Die Natur geht seit Jahrmillionen ihren eigenen Weg und erst in den letzten Jahrhunderten hat der Mensch radikal eingegriffen, Landschaften verändert und für sich nutzbar gemacht. Der Tunnel für die Wanderdüne von Sylt wäre ein positives Signal für eine Umkehr dieser Dynamik und eine Chance für Mensch und Natur.
Update aus der Redaktion: Nachdem Antje-Marie diesen Text für uns geschrieben hat, kam Bewegung in die Angelegenheit. Das Hamburger Abendblatt und t-online griffen das Thema auf.
©Luftaufnahmen von dem LKN (Landesbetrieb für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz) und dem Alfred-Wegener-Institut.
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