Buchmarkt

Ein Buchmarkt ohne Vielfalt?

Warum das problematisch ist und was helfen würde

Menschen lernen über das Hören und Erzählen von Geschichten. Daher ist es wichtig, gerade in der Literatur die Vielfalt zu erhalten. Doch wirtschaftliche Zwänge geben Experimenten und Nischen immer weniger Raum.

In den letzten Jahren hat sich der Buchmarkt massiv verändert. Die Branche generiert zwar weiterhin neun Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Aber dieser Umsatz wird mit immer weniger Buchtiteln gemacht. Obwohl die Zahl der Publikationen aufgrund wachsender Self-Publishing-Zahlen nicht zurückgeht, sondern wächst. 

Immer weniger Aufmerksamkeit für immer weniger Bücher 

Insgesamt nahm der Absatz der in den Top 10 platzierten Bücher um 23,6 Prozent zu, in der Belletristik waren es sogar fast 40 Prozent1. Das bedeutet, dass immer weniger Verlage immer mehr Umsatz machen. Und Bücher, die gerade nicht auf der Bestsellerliste auftauchen, immer weniger Aufmerksamkeit erhalten. Auch wenn sich diese Zahlen vor allem auf Print-Bücher beziehen, sind die Entwicklungen im E-Book- oder im Self-Publishing-Bereich identisch. Dadurch verliert der Buchmarkt an Vielfalt, weil sich Themen, die nicht für die Bestsellerliste taugen, wirtschaftlich immer weniger lohnen. Denn Verlage sind Wirtschaftsbetriebe, im Gegensatz zu anderen Kulturbetrieben wie z. B. Theater erhalten sie keine staatliche Förderung. 

Dabei ist Vielfalt gerade in Zeiten von Populismus und politischer Polarisierung so wichtig wie nie zuvor – sowohl für die Literaturlandschaft als auch für die Gesellschaft insgesamt. Denn Bücher vermitteln ein Weltbild, sei es durch die Darstellung von Wissen im Sachbuch, sei es durch Erzählungen, wie eine Gesellschaft funktioniert, im Roman.

Der wirtschaftliche Druck wächst und bedroht die Vielfalt

Im vergangenen Jahr konnte man in der Presse immer wieder lesen, wie gut der Buchhandel durch die Coronazeit gekommen ist. Das stimmt für große Verlagshäuser, nicht für die kleinen, unabhängigen. Da die Buchhandlungen sich vielen Beschränkungen in Sachen Öffnungsmöglichkeiten ausgesetzt sahen, war eine Beratung beim Verkauf nur begrenzt möglich. Meist wurden daher Bestseller verkauft, die der Kundschaft schon bekannt waren. Kleine Verlage, die eh kaum in Buchhandlungen gezeigt werden, weil sich die intensive Beratung für die Buchhandlung wirtschaftlich nicht lohnt, wurden komplett aus dem Sortiment genommen. Wichtig ist, anzumerken, dass auch die Marge der Buchhandlungen aufgrund der niedrigen Buchpreise sehr klein ist und sie nur durch dieses Vorgehen überleben konnten. 

Unabhängige, kleine Verlage und Selfpublisher konnten diese Lücke in der Sichtbarkeit vor Corona oft durch Präsenz auf Messen und Conventions kompensieren. Doch ab 2020 war das nicht mehr möglich und auch 2022 wurden viele Veranstaltungen abgesagt oder fanden überhaupt nicht mehr statt.

Nachdem Ende 2021 viele dachten, man könne langsam aufatmen, kam der nächste Tiefschlag: der Papiermangel. Dieser hatte viele Ursachen, wie Streiks bei den Herstellern, die Zunahme des Papierverbrauchs für Verpackungen und fehlende Transportmöglichkeiten für fertiges Papier. Die Wartezeiten bei Druckereien wurden länger und im Weihnachtsgeschäft 2021 war zu befürchten, dass einige Bücher nicht mehr lieferbar sein würden. Also bestellten einige Buchhandlungen Ware auf Vorrat. Mehr Bücher, als verkauft werden würden. Nun gilt in der Buchbranche: Buchhandlungen kaufen Bücher und haben dann das Recht, sie nach mehreren Monaten im Laden als unverkäuflich zurückzuschicken und den bezahlten Preis zurückzuerhalten. Diese Rücksendungen fanden im Frühjahr 2022 statt. Es wurden unzählige Bücher wieder an die Verlage zurückgeschickt und gerade kleine, unabhängige Verlage hatten hohe Minus-Umsätze, weil sie so viel Rücksendungen bezahlen mussten.

Dazu kam die Erhöhung der Druckkosten. Natürlich stiegen die Druckpreise schon 2021, doch 2022 kamen noch die steigenden Energiepreise hinzu, daher explodierten die Druckkosten. Ein Beispiel: Ein Nachdruck eines Buches in einer kleinen Auflage, der im August 2022 noch rund 800 Euro gekostet hätte, kostete im September 2022 1.000 Euro mehr.

Was kostet eigentlich ein Buch? 

Warum aber führt das zu einer wirtschaftlichen Schieflage von unabhängigen Verlagen? In Deutschland wird der Preis eines Buches vom Verlag festgelegt. In der Regel liegen die Preise eines Taschenbuchs bei um die zehn Euro, die eines Hardcovers bei über zwanzig Euro – Tendenz steigend, wegen steigender Kosten.

Von diesem Bruttopreis gehen sieben Prozent Mehrwertsteuer ab. Rund fünfzig Prozent vom Rest bekommt der Buchhandel. Dann fallen für Lager und Logistik rund zehn Prozent an. Bleiben vierzig Prozent beim Verlag für die Honorare der Autor:innen, für Lektorat, Korrektorat, Cover, Herstellung, Druck, Marketing und Verwaltung. Wenn wir die Rechnung für ein Buch betrachten, das zehn Euro kostet und sich 500-mal verkauft (was gerade bei unabhängigen, kleinen Verlagen keine Seltenheit ist), braucht man kein Mathe-Genie zu sein, um zu verstehen, dass sich Büchermachen nicht lohnt. 

Eine Option, das zu ändern, ist die Erhöhung der Buchpreise (was auch gerade stattfindet). Doch wollen wir das als Gesellschaft? Gerade Bücher sollte sich jeder Mensch leisten können, sie sind die Grundlage für Bildung und Weiterentwicklung. 

Norwegen und die Schweiz machen es vor

Das Problem ist aber kein deutsches Phänomen. Andere Länder kennen es auch und haben bereits reagiert. In Norwegen2 gibt es zum Beispiel die Abnahmeregel. Das bedeutet, dass dort eine feste Auflage von jeder Neuerscheinung vom Staat abgekauft und an Bibliotheken verteilt wird. Diese fixen Einnahmen ermöglichen es Verlagen, ein Risiko einzugehen und etwas Neues auszuprobieren.

In der Schweiz werden Verlage mit mehrjährigen Beiträgen gefördert, um so den Spielraum zu haben, kulturelle Vielfalt abzubilden.

In Deutschland gab es als Unterstützung in Coronazeiten eine Förderung für Schreibende. Diese ist leider inzwischen ausgelaufen, aber sie hat auf jeden Fall viele neue Projekte ermöglicht, die sonst nicht zustande gekommen wären. Warum das nicht wieder einführen?

Oder, wie der Börsenverein des Deutschen Buchhandels fordert, die Mehrwertsteuer auf Bücher aufheben. Ebenfalls könnte eine strukturelle Fördermaßnahme für Verlage ins Leben gerufen werden, wie z. B. bei Theatern. Denn Bücher sind Kulturgut und sollten als solches behandelt werden.

Oder Buchkäufe finanziell bezuschussen – hier ist der geplante Kulturpass für Jugendliche ein schöner und wichtiger Ansatz. Aber warum nur für Jugendliche, auch Erwachsene sollten sich weiterbilden. Aktuell lesen immer weniger Erwachsene, vielleicht sollte man daher nicht nur Leseförderung für Kinder und Jugendliche betreiben. Außerdem ist nachgewiesen, dass Lesen Stress reduziert, eine solche Leseförderung würde sich somit auch positiv auf das Gesundheitssystem auswirken. Es gibt also Wege, den Buchmarkt zu stärken und somit auch unabhängigen, kleinen Verlagen wieder die Möglichkeit zu geben, Nischen zu besetzen und Vielfalt zu produzieren. 

Bleibt die Hoffnung, dass diese Wege gegangen werden, denn es sind gerade Bücher, die neue Welten öffnen und uns neue Gedanken erklären. Es sind die Geschichten, die uns handeln lassen, wie wir handeln. Daher wird es immer Geschichtenerzähler:innen geben und somit auch immer Bücher, in welcher Form auch immer. Und besonders in dieser Branche die Vielfalt zu erhalten, ist eine Aufgabe, die wir als Gesellschaft nicht vernachlässigen sollten.

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Sandra Thoms, deutsch-französische Europäerin aus der Schweiz, hat Übersetzungswissenschaften und Kulturmanagement studiert. Büchermensch.

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