Kinder fahren Fahrrad

Ihr Kinderlein kommet, oder besser nicht

Warum ich froh bin, dass meine Kinder (fast) erwachsen sind

Drei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie zeigt sich, wie unsolidarisch sich viele Menschen hierzulande Kindern gegenüber verhalten. Die Lage in den Krankenhäusern ist katastrophal, die Krankheitswellen schwappen durch sämtliche Einrichtungen, in denen Kinder ihre Tage verbringen und über das, was die Zukunft für jene bereithält, die jetzt gerade aufwachsen, diskutiert man lieber auf Twitter, statt zu handeln.

Um herauszufinden, wie gern Kinder in unserem Land gesehen sind, reicht es eigentlich, sich ab und zu mal an eine Treppe zu stellen, die zur U- oder S-Bahn hinauf führt, und abzuwarten, wie lange es dauert, bis sich mal irgendwer erbarmt, der Mutter, die dort mit ihrem Kinderwagen steht, zu helfen. Oder man besucht einen Supermarkt und beobachtet die Reaktionen der Menschen, wenn ein Kind weint. Oder man hat selbst Kinder und die werden krank und man sitzt mit ihnen stundenlang in einer Arztpraxis, während sie fiebern, oder, oder, oder.

Streng genommen war das nie anders, aber seit Corona ist es noch gravierender. Wie schrieb der Politikerberater Erik Flügge neulich: „Wir hatten eine Maskenpflicht für Kinder, weil sonst die Intensivstationen für Erwachsene zu knapp geworden wären. Jetzt werden die Stationen für Kinder knapp und ich vermisse auch nur den Hauch einer Debatte, was Erwachsene beitragen können, um das zu lösen.“

„Ich bin es so leid. Und es macht mich so wütend. Ich kann all jene bestens verstehen, die sagen: Sorry, aber das mit dem Kinderkriegen schminkt euch mal ab, solange die Verhältnisse so sind.“

Ehrlich, ich selbst mache drei Kreuze, dass meine Kinder nicht mehr klein sind. Dass ich keinen Antrag auf Elterngeld mehr schreiben und monatelang warten muss. Dass ich keine Angst davor haben muss, in einer Klinik oder einer Kita keinen Platz für eines meiner Kinder zu bekommen. Dass auch die Schulzeit bald Geschichte ist und damit auch die Debatten darüber, an welcher Bildungsecke man noch sparen kann. Ich bin es so leid. Und es macht mich so wütend. Ich kann all jene bestens verstehen, die sagen: Sorry, aber das mit dem Kinderkriegen schminkt euch mal ab, solange die Verhältnisse so sind, wie sie sind.

Dabei sind wir so ein reiches Land. Aber eben ein reiches Land, das seine Kinder nicht liebt. Das Schulen verrotten lässt, Jugendeinrichtungen schließt, Kinderstationen dem „Der Markt wird es schon regeln“-Nimbus unterwirft. Ein Land, in dem der Ruf nach Freiheit an vielen Stellen leider zu purem Egoismus verkommen ist. Und in dem an vielen Stellen immer noch nach Johanna Harrer, der selbsternannten NS-Erziehungsexpertin, erzogen wird, auch wenn das niemand zugeben würde. Aber schlafen sollen die Kinder schon und dafür lässt man sie auch gern mal brüllen. Und um Gottes Willen soll man sie nicht verwöhnen, lieber fördern, da ist auch ein (ö) drin. Und formen. Und erziehen. Und bilden. Und kontrollieren. Und maßregeln. Und leise sollen sie sein. Sich problemlos ins System einfügen. Am besten also bitte unsichtbar.

Das Bemühen, unsere Kinder zu „ordentlichen“ Bürgern hinzubiegen, zeigt sich interessanter Weise auch dort, wo gar keine Kinder sind – in aktuellen politischen Debatten. Und zwar immer dann, wenn es um die Taugenichtse, die Faulen, die die in den Tag hineinleben, geht. Zusammengefasst um die, die nicht mit den eigenen Händen schuftend, das Land aufbauen. Die Kreativen zum Beispiel, oder die Linken, oder wahlweise die Grünen, die sowieso nie erwachsen geworden sind, weil sie Wattebäusche im Hirn haben, und sich in den Augen von einigen Konservativen wie Kinder benehmen und darum eben auch so behandelt werden müssen: nämlich abwertend.

Ehe ich mich jetzt hier in Rage schreibe, und weil es uns im DEMOS MAG ja vor allem auch darum geht, Alternativen aufzuzeigen, wende ich mich nun direkt an Dich. Denn wir alle sind es, die die Gesellschaft prägen. Darum: Wenn Du demnächst an der Treppe zum U-Bahnaufgang stehst und eine Mutter mit Kinderwagen siehst, bitte hilf ihr. Wenn Du im Supermarkt eine Mutter oder einen Vater mit einem Kind siehst, das den Laden zusammenbrüllt, halte Dich raus. Gib keine klugen Ratschläge. Und wenn Du kannst, dann unterstütze Kinder. Gib ihnen das Gefühl, dass sie willkommen sind. Und dass sie so, wie sie sind, richtig sind. Auch wenn sie sich auf die Straße kleben. Sie haben alles Recht der Welt, uns mit der Nase auf unsere Defizite zu stoßen.

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Jeannette Hagen arbeitet als freie Autorin und Kolumnistin in den Schwerpunkten Gesellschaft, Psychologie, Politik und Kunst für verschiedene Medien und Verlage. Neben dieser Arbeit und dem Studium der Politikwissenschaft an der FU Berlin setzt sie sich aktiv für Menschenrechte ein.

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