Elon Musk rupft des Twitter-Vogel

Gerupfter Vogel Freiheit

Das verschobene Freiheitsverständnis des Elon Musk

Schon bevor, aber erst recht seit Elon Musk Twitter gekauft hat, liefert er ein in allen Details ausgeformtes Bild dessen, was passiert, wenn selbsternannte „Meinungsabsolutisten“ an die Macht kommen: Kritische Stimmen werden unterdrückt oder gleich ganz mundtot gemacht, Fakes und Feindbilder haben Hochkonjunktur und Freiheit ist plötzlich nur noch die Freiheit des Mächtigen.

Hatte Musk im April noch geschrieben: „I hope, that even my worst critics remain on twitter, because that is that free speech means“, so zeigt sich jetzt, wie eingeschränkt sein Verständnis von Freiheit wirklich ist und dass er die Macht hat, das demokratische Freiheitsverständnis zu konterkarieren. Er sperrt Konten, gibt sie wieder frei oder nicht, begrenzt Reichweiten oder verhindert die Weiterleitung von Links zum Konkurrenten Mastodon, indem er diese Links als Malware, also als „schädliche Software“, kennzeichnen lässt. Regeln scheinen für den zweitreichsten Mann der Welt nicht zu gelten. Er demonstriert seine Macht und maskiert sie demokratisch, indem er „Umfragen“ durchführen lässt.

„Der Vogel ist befreit“ schrieb er, nachdem er Twitter übernommen hatte. Aber alles an diesem Satz ist falsch. Twitter war nie eingesperrt, war keiner Willkür unterworfen, es gab auch keine Zensur, wie er gern behauptet. Nun zensiert er selbst und der Schaden, den Musk damit anrichtet, ist kaum bezifferbar. Nicht nur, dass er die Demokratie wie einen Tanzbär an der Nase durch die Manege führt, er demonstriert auch sehr eindrücklich, wohin das Freiheitsverständnis des Neoliberalismus führt: in eine Herrschaft derer, die mit Geld das durchdrücken, was SIE unter Freiheit verstehen. Dass sie sich damit selbst widersprechen, ist ihnen egal. Denn es geht und ging Musk nie um Freiheit, allenfalls um Macht.

Auf den ersten Blick agiert Musk wie jemand, der mit den Aufgaben, die er sich selbst übertragen hat, überfordert ist. Das führt dazu, dass viele ihm auf dem Leim gehen, ihn entschuldigen, ihm das ein oder andere durchgehen lassen. Die Tatsache, dass selbst der Bundesminister für Justiz, Marco Buschmann, auf diesen Zug aufspringt, und Musk öffentlich „Respekt dafür zollt“, dass er vorher gesperrte Kanäle wieder freigibt, zeigt allerdings, auf welch dünnem Eis wir uns bewegen, wenn wir dieser Entwicklung nichts entgegensetzen.

Denn Musk ist nicht überfordert. Ebensowenig wie Donald Trump überfordert war. Sowohl Trump als auch Musk folgen mit allem, was sie tun, einer Agenda. Einem inneren Kompass, den Anhänger:innen der Alt-Right-Bewegung in Amerika und die Neuen Rechten in Europa gleichermaßen zum Heiligen Gral erhoben haben. Dieser Kompass ist nicht auf die Bedürfnisse der Gesellschaft oder auf die echte Bewältigung nationaler oder globaler Herausforderungen gerichtet, sondern ausschließlich auf die Wahrung der eigenen Identität. Darin wird das ICH zur Ideologie und nichts fürchten die Anhänger:innen dieser Ideologie mehr, als Kritik, denn die wird immer als Kränkung und Bedrohung empfunden. Mehr noch. Diese Art der Kränkung ist für sie gefühlt existentiell und das macht die Entwicklung, die wir gerade beobachten, so gefährlich.

Menschen wie Elon Musk haben Geld. Viel Geld. Und wir leben in einer Welt, in der Geld Macht und Einfluss bedeuten. Die Auswirkungen konnten wir alle sehen, als Musk den Ukrainern den Zugang zu Starlink erst ermöglichte, dann wieder nahm und schließlich doch wieder genehmigte. An, aus, an – wie es ihm beliebt. Was er mit dem Zugang zum Internet macht, kann er auch mit Demokratien machen. Wir haben doch gesehen und erlebt, was passiert, wenn Plattformen unreguliert alles zulassen oder Meinungen beeinflussen. Wenn Bots und Algorithmen das Sagen haben und zu Echokammern für rassistisches, nationalistisches und antisemitisches Gedankengut werden. So lange ist doch der Cambridge Analytica Skandal noch nicht her, dass wir nun wieder blauäugig davon ausgehen, dass das alles nicht so schlimm werden wird.

 

„Was Elon Musk unter Freiheit versteht, ist, dass er machen kann, was er will.“ 

Jan Skudlarek

Auch wenn wir es gern anders hätten: Das, was wir derzeit beobachten, ist nur ein Bruchteil dessen, was uns erwartet, wenn wir weiterhin wie die Kaninchen vor der Schlange hocken und zusehen, wie das, was wir uns aufgebaut haben, zerstört wird. Musk wird von sich aus keine Einsicht zeigen. Er weiß, dass die Achillesferse der Demokratie die Demokratie selbst ist und dass er damit den Machthebel in der Hand hat. Selten war der Satz: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in einer Diktatur auf“ so wahr. Wer jetzt mitmacht, wird nicht nur sein blaues Twitter-Wunder erleben, denn schon jetzt spielt sich Musk auf wie ein Diktator, der Freiheit ruft und sie gleichzeitig skrupellos mit Füßen tritt.

Das Absurde ist ja, dass Plattformen wie Twitter oder Facebook ausschließlich durch die Beiträge der Gemeinschaft ermöglicht und getragen werden und somit die Gemeinschaft gleichsam dafür sorgt, das Spiel, das Musk spielt, zu ermöglichen. Dem Gedanken folgend, wäre die einzig richtige Konsequenz, das Twittern sofort einzustellen, den Account auf der Stelle zu deaktivieren. Einige reichweitenstarke Twitterer haben das bereits getan. Ich denke aber, dass das nicht die Lösung sein kann, sondern dass der Machtarm der Demokratie soweit reichen sollte, der egozentrierten, toxischen und damit gefährlichen Unternehmenspolitik, die derart tief in gesellschaftliche Strukturen hineinreicht, einen Riegel vorzuschieben. Die Freiheit des Einen für die Freiheit der Gemeinschaft einzuschränken, folgt dem Freiheitsverständnis Immanuel Kants und nicht dem, eines dünnhäutigen Multimilliardärs.

Das Titelbild für diesen Beitrag wurde uns freundlicher Weise von Guido Kühn zur Verfügung gestellt.

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Jeannette Hagen arbeitet als freie Autorin und Kolumnistin in den Schwerpunkten Gesellschaft, Psychologie, Politik und Kunst für verschiedene Medien und Verlage. Neben dieser Arbeit und dem Studium der Politikwissenschaft an der FU Berlin setzt sie sich aktiv für Menschenrechte ein.

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