Hanau

Hass und Humor?

Über antimuslimische Witze im Internet

Zum Jahrestag des rassistischen Anschlags in Hanau im Jahr 2020 werfe ich einen Blick auf die antimuslimische Hetze im Internet: Was passiert auf Webseiten wie 9gag.com oder Reddit? Welche Emotionen und Reaktionen lassen sich auf antimuslimische Memes finden? Wie sehen die Kommentarspalten aus?

TRIGGERWARNUNG: In diesem Text geht es um antimuslimischen Rassismus, Gewaltverherrlichung und Hasskommentare, die sich gegen Muslim:innen richten. Die dargestellten Inhalte können verstörend, verunsichernd oder provokant sein.

Gegen Muslim:innen gerichtete Anschläge sind keine Einzelfälle mehr. Dieses Jahr jährt sich das grausame und rassistische Attentat in der Stadt Hanau zum dritten Mal. Neun Menschen wurden ermordet, ihre Namen lauten Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Der Täter hatte zuvor im Internet ein ausführliches rassistisches Pamphlet verbreitet.

Erst ein Jahr zuvor stürmt am 15. März 2019 ein mit Schusswaffen bewaffneter Mann die Masjid-Al-Noor-Moschee und ein islamisches Zentrum in der Stadt Christchurch in Neuseeland. Er tötet 51 Menschen und verletzt weitere 50 Personen. Während seiner Tat trägt er eine Helmkamera an seiner Ausrüstung, mit der er seine Perspektive des Geschehens filmt und live auf der Plattform Facebook überträgt. Das Video seines Attentats verbreitet sich binnen kurzer Zeit auf verschiedenen Social-Media-Plattformen und Kopien des Videos erhalten Millionen Klicks. Vor dem Attentat wird ebenfalls ein Text auf Social-Media-Plattformen veröffentlicht, der angeblich ein vom Täter verfasstes Manifest mit der Darlegung seiner Beweggründe darstellt. Dieses Dokument beinhaltet unter anderem rechtsextreme und islamophobe Theorien, mit denen die Gewalttat gerechtfertigt werden soll, und wird ebenfalls millionenfach online geteilt. In den Kommentarspalten dieser Inhalte lassen sich Bekundungen unterschiedlicher Emotionen finden. Neben Trauer und Fassungslosigkeit werden mit zustimmenden und/oder mokierenden Kommentaren wie: „The Crusades are coming for you kebabs!“ auch Belustigung und Hass zum Ausdruck gebracht.

Hass im Internet?

Diese Attentate in Hanau und in Christchurch stellen beispielhaft Impulse für die Äußerung emotionsgeladener, islam- und muslimfeindlicher Kommentare auf Social-Media-Plattformen dar. Aber auch unabhängig von solchen Auslösern lassen sich teils belustigte, teils hasserfüllte Äußerungen über den Islam und Muslim:innen in sozialen Medien finden. Auffällig sind dabei die Nutzung von Memes, die den Islam und Muslim:innen auf eine vermeintlich humorvolle Art verspotten, und die darauffolgenden emotionalen Reaktionen. Um genau solche Memes und die emotionalen Reaktionen darauf soll es hier gehen. Ich treibe mich dafür auf der Webseite 9gag.com herum und betrachte hunderte von Memes, wühle mich durch Kommentare und Bilder auf der Plattform.

Witze über Muslim:innen?

„Fuck those muslims scumbags… How i wish the Great Crusade will be back where Christian were once the strongest and kills every single muslim and erase their genepool in this earth… Useless piece of meat“ schreibt der/die Nutzer:in rexraptor2 als Reaktion auf ein Meme, das eine vermeintlich scheinheilige Unschuld von Muslim:innen nach einem Terroranschlag humorvoll darstellt. Die kommentierende Person beleidigt mit dieser Aussage Muslim:innen und äußert zudem den Wunsch nach einer Rückkehr der christlichen Kreuzzüge des Mittelalters gegen muslimisch geprägte Länder und dem damit verbundenen Morden an der muslimischen Bevölkerung. Es lassen sich viele ähnliche Reaktionen auf antimuslimische Memes auf der Plattform 9gag.com finden. Emotionen werden hier meist durch Beleidigungen oder Drohungen ausgedrückt. „Pisslam“ oder „Fuck [th]em all to death“ sind nur Beispiele für eine Vielzahl an vielfältigen Kraftausdrücken oder ordinären Beschimpfungen dieser Art.

Drohende Kommentare beinhalten zusätzlich häufig die Äußerung des Bedürfnisses nach Gewalt sowie eine Beschreibung der Art, wie einer Einzelperson oder Personengruppe Schmerzen zugefügt werden sollen. Nutzer:in augmentedfella schreibt: „Ofc [of course] you shouldn’t leave them [gemeint sind hier syrische Frauen]. you should rape them, burn them and rape there [sic!] corpse to make sure they dead.“

Aber das sind doch nur Witze!

Natürlich reagieren nicht alle Nutzer:innen der Plattform 9gag.com mit Hass auf Memes, die sich gegen den Islam oder Muslim:innen richten. Es lassen sich ebenso andere Reaktionen finden, die diesen Memes humorvoll begegnen und dabei die Scherzebene des Memes aufgreifen. Oder Nutzer:innen kommentieren betont sachlich und versuchen Kontext oder Informationen zu dem Thema zu geben und gegen die Inhalte zu argumentieren. Dennoch gibt es hasserfüllte Kommentare und diese lassen sich beim Lesen schlecht ignorieren. Die scherzhafte Intention des Memes, auf das sich die Kommentare beziehen, erlaubt die Äußerung diskriminierender Stereotype. Unter dem Deckmantel eines Witzes auf einer Witzeplattform im Internet findet ein Bruch mit dem Tabu statt, solche antimuslimisch-rassistischen Aussagen zu äußern. Dasselbe geschieht im Zusammenhang mit dem Ausdruck emotionaler Reaktionen. Hier ermöglichen die Scherzebene des Memes und der inhaltliche Tabubruch extreme Äußerungen, die Abneigung und/oder Hass ausdrücken. Bei der Äußerung solcher extremen Emotionen handelt es sich ebenfalls um einen Tabubruch, da der Ausdruck von Wut oder anderen extremen Gefühlen dem Selbstbildnis des aufgeklärten, vernunftbegabten westlichen Menschen widerspricht. Die Plattform 9gag.com und die „witzigen Memes“ ermöglichen folglich einen Tabubruch auf inhaltlicher und emotionaler Ebene.

Was ist das für ein Bild von Muslim:innen?

Die dabei genutzten Vorurteile drücken ein Verständnis über Muslim:innen aus, das diese als die rückständig entwickelten „Anderen“ im Gegensatz zu europäischen oder westlichen Menschen definiert. In besonders extremen Kommentaren, die Aufrufe zu und/oder Verherrlichung von Gewalt an Muslim:innen einbeziehen, wird zudem von Nutzer:innen humorvoll auf die Darstellung von vermeintlichen Verteidiger:innen eines christlich-abendländischen ‚Wir‘ zurückgegriffen. Hier wählen Nutzer:innen auffallend häufig Memes mit Kreuzrittern als Inhalte ihrer Kommentare und als ein Symbol für Gewalt gegen Muslim:innen aus der Vergangenheit. Durch die Nutzung der beschriebenen, scheinbar scherzhaften Symbolfiguren und der damit verbundenen Formulierung des gemeinsamen Bedürfnisses nach gewalttätigem Widerstand gegen die vermeintliche muslimische Bedrohung auf eine humorvolle Art und Weise wird ein empfundenes Wir-Gefühl zum Ausdruck gebracht. Eine vermeintlich homogene Gruppe mit gemeinsamem Feindbild ist die Konsequenz.

Was unternimmt die Plattform dagegen?

Die traurige Antwort lautet: nichts. Ich habe über mehrere Wochen hinweg mehrmals versucht, Kommentare, Nutzer:innen oder Memes zu melden. Ich erhielt weder eine Rückmeldung noch verschwanden die Inhalte von der Seite. Mehr noch: Die zuvor beschriebenen Äußerungen von Emotionen und Inhalten werden durch bestimmte Eigenschaften und Handlungsspielräume der Plattform 9gag.com begünstigt. In diesem Zusammenhang ermöglichen sowohl die herrschende Anonymität der Nutzer:innen als auch die Selbstdarstellung der Internetseite als scherzhafte Plattform den Ausdruck extremer und besonders hasserfüllter Aussagen. Das Beurteilungssystem der Webseite fordert Nutzer:innen dazu auf, solche Beiträge positiv zu bewerten, die sie als besonders lustig empfinden. Die positiv bewerteten Beiträge werden daraufhin noch mehr Menschen gezeigt. Dieses Voting-System verbunden mit einem westlich und männlich geprägtem Publikum der Webseite erleichtert die Reproduktion eines negativen Verständnisses von Muslim:innen und dem Islam. Eine anonyme Mehrheit entscheidet, was als „lustig“ gilt und dargestellt wird.

Und nun? 

Menschen, die sich von diesen Kommentaren diskriminiert fühlen, bewegen sich möglicherweise nicht mehr oder immer weniger auf Webseiten wie 9gag.com. Was bleibt, sind Nutzer:innen, die nicht zur angesprochenen Gruppe gehören und durch den Türöffner „Humor“ extremen Aussagen und Aufrufen zu Gewalt begegnen. Darüber hinaus können sie selber welche verfassen, ohne Konsequenzen dafür zu erfahren. Die Tür zu antimuslimischem Rassismus ist damit geöffnet. Doch wer macht sie wieder zu?

Hass im Internet ist schon länger ein schwieriges Problem, auf das wir gesellschaftlich noch keine zufriedenstellende Lösung gefunden haben. Solltest du selbst jemals Hass und/oder Hetze (auch in Form von vermeintlichen Witzen) im Internet erfahren haben, hol dir Hilfe. Es gibt inzwischen gute Organisationen wie No Hate Speech, #ichbinhier, die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Meldestelle respect und viele mehr. Und wenn das nächste Mal jemand einen rassistischen Witz macht, ist es Zeit, mal nicht aus Höflichkeit zu lachen, sondern Position zu beziehen. Denn diese Tür gehört wieder geschlossen!

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Frauke Dornberg ist Veranstaltungskauffrau und studierte zusätzlich Europäische Ethnologie und Ethnografie in Berlin.

Verena Siggelkow ist Wahlberlinerin und Künstlerin. Nach ihrer Ausbildung zur Illustratorin und grafischen Zeichnerin hat sie als Freiberuflerin im Bereich Stop-Motion gearbeitet und sowohl digital als auch analog eigene Illustrationen sowie Kinderbücher gestaltet. Aufgrund ihres Interesses an sozialen Themen, hat sie aufbauend das Studium der Sozialen Arbeit absolviert und setzt sich nun mit der Verbindung von Kunst, Kreativität und Selbstbestimmung auseinander.

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