Kreativzentren

Die neuen Schulen unserer (Arbeits-)Welt

Es sind turbulente Zeiten: Digitalisierung und Entwicklung vom Zeitalter der Industrialisierung hin zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft. Im Folgenden zeige ich, dass es wichtig sein könnte, wie wir künftig leben, lernen und arbeiten, und welche Bedeutung Kreativzentren haben werden.

Unsere Zivilisation steht vor großen Herausforderungen. Krisen, Krieg, der Klimawandel, die Digitalisierung sowie Automatisierung und die Entwicklung vom Zeitalter der Industrialisierung hin zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft bringen viele Menschen an den Rand der Überforderung. Ich selbst beschäftige mich seit gut zehn Jahren intensiv mit Gedanken um unsere Welt, unsere Gesellschaft und unsere Zukunft. Und ich stelle mir die Frage, was wir künftigen Generationen hinterlassen und wie wir die Krisen meistern, wie wir uns auf den Weg machen können und wie Lösungsansätze aussehen könnten.

Wie wollen wir in Zukunft leben, lernen und arbeiten?

Schnell wurde mir klar, dass es für mich alleine sehr schwer sein würde, Antworten auf diese Fragen zu finden. Ich wollte viele Menschen um mich versammeln und in den Austausch kommen, deren Gedanken und Lebensweisen kennenlernen und mich so langsam vortasten. Durch einige glückliche Umstände war es mir möglich, vor ca. fünf Jahren meinen ersten Coworking-Space zu gründen. An diesem Ort verbanden wir Handwerk und Coworking, um Dinge wieder unter einem Dach zu haben, die wir in Zeiten der übertriebenen Spezialisierung aus den Augen verloren hatten. Am Mittagstisch saßen auf einmal eine Schneiderin, ein Physiker, ein Gewässerbiologe und ein Verkäufer von Robotik-Armprothesen beisammen und unterhielten sich über die verschiedensten Themen. In welcher Firma findet man so etwas?

Anscharcampus ©BSP Architekten

Erstes Ziel erreicht

Mein erstes konkretes Ziel war geboren: Möglichst viele Menschen aus verschiedenen Generationen und Fachrichtungen zusammenzubringen, damit diese in den Austausch kommen, ihrer eigenen Arbeit nachgehen können, aber auch gemeinsame Projekte starten. Einmal auf den Weg gemacht, lernte ich weitere Menschen und Projekte kennen, die meine Gedanken teilten. So auch den Anscharcampus (Kultur- und Kreativzentrum in Kiel), wo ich seit nunmehr vier Jahren Geschäftsführer sein darf, oder den Alsenhof in der Nähe von Itzehoe. Die Bandbreite an Tätigkeiten geht hier von Immobilien-/Projektentwicklung bis zum Aufbau von Communitys und neuen Systemen. Und genau das macht diese Kreativzentren aus, neben meinem oben beschriebenen Ziel: Sie sind ein Ort für Neues UND Altes!

Neue und alte Architektur werden auf dem ehemaligen Marinelazarett, Anscharcampus, und auf dem ehemaligen Rinderzuchtbetrieb, Alsenhof, kombiniert. Neue und alte Wirtschaft versammeln sich hier an einen Tisch, jede:r wird gehört und mittels Kooperation werden tolle Entwicklungen angestoßen. Die Kreativzentren stellen somit einen neutralen Lern-/Experimentierort für jede:n dar.

Ist das New Work?

Wenn man mich also fragt, was New Work ist, dann lautet die Antwort: genau das. Menschen aus verschiedenen Generationen und Fachrichtungen zusammenzubringen und ihnen eine Spielwiese zu geben. Wichtig dabei ist für mich, dass in jeder:jedem von uns ein:e Unternehmer:in steckt. Wir alle müssen fähig sein, mit unseren knappen Ressourcen umzugehen. Anders als in der „alte Wirtschaft“ wird in der neuen immer deutlicher, dass nicht das liebe Geld beim Schaffen im Vordergrund steht, sondern Zeit, Gesundheit und unser Planet. Und ich bin davon überzeugt, dass, wenn Menschen Kompetenzen wie Eigenverantwortlichkeit, Selbstvertrauen, Flexibilität und das Agieren unter Unsicherheit erlernen dürfen, tolle Sachen dabei herauskommen.

Alsenhof ©Heiko Kolz

Nächster Schritt

Der Anfang ist also gemacht – mit Orten wie dem Anscharcampus und dem Alsenhof entwickeln sich erste neue Schulen unserer (Arbeits-)Welt. Doch es liegt noch viel Arbeit vor uns. Zwar gibt schon viele solcher Orte in Deutschland sowie in anderen Ländern, doch meines Erachtens sollten diese auch global mehr kooperieren und sich vernetzen. Deshalb haben wir für 2023 eine Coworking-Bustour von Kiel in die Schweiz geplant.

 

Aber gehen wir nochmal einen Schritt zurück und schauen darauf, was Coworking überhaupt bedeutet, denn es kursieren noch andere Begriffe, die teilweise für Verwirrung sorgen: Coworking, Coliving, Cocreation, New Work und einige mehr. Meine Definition orientiert sich an einfachen, verständlichen Bildern: Für einen Vortrag zum Thema „Hoftransformationen“ fuhr ich mit dem Bus durch das Allgäu und blickte verträumt aus dem Fenster, bis mir schließlich immer mehr von diesen riesigen Wohnhäusern auffielen. „Wer wohnt denn da, sind das alles Hotels?“, fragte ich den Busfahrer. „Nein“, lachte dieser, „da wird noch mit drei Generationen unter einem Dach gewohnt!“

Coworking ist eine Lebenseinstellung

Da ging mir ein Licht auf: Coworking ist schon ziemlich alt, es hat alles nur eine hippe Begrifflichkeit erhalten. Oma macht das Essen, die Kinder gehen zur Schule und helfen im Garten und die Eltern gehen ihrer Erwerbstätigkeit nach. Coworking ist eine Lebenseinstellung und mehr als nur ein Space, den sich Menschen teilen, um Miete zu sparen. Arbeitsteilung, Austausch, Synergien erkennen und potenzieren, Systeme aufbauen und vieles mehr sind für mich die relevanten Themen, mit denen wir uns jeden Tag in Kreativzentren beschäftigen.

Und Synergien und Kooperation sind für mich der Schlüssel des Erfolgs. Wir leben in einer vernetzten Welt, meines Erachtens hat das System der Konkurrenz ausgedient und durch Zusammenarbeit (Kooperation) lassen sich wesentlich größere Effekte erzielen. Im zweiten Obergeschoss vom Anscharcampus haben wir beispielsweise einen Coworking- und einen Büro-Bereich direkt gegenüber. In den Büros sitzen etablierte Firmen und wenn die Türen mal offen sind und sich Mitarbeitende der Firmen mit den Coworker:innen auf dem Flur oder beim Mittagessen unterhalten, passieren großartige Dinge. Fragen wie „Zu welchem Steuerberater geht ihr denn?“ oder „Wie habt ihr denn damals gegründet?“ werden gestellt und dem sogenannten Informationsvorsprung entgegengewirkt. Dies ist nur ein kleines Beispiel für einen kleinen Synergieeffekt, der an diesen Orten erzeugt wird.

Die Coworking-Bustour

Nun aber zurück zur Coworking-Bustour: Ende März 2023 wollen wir einen Reisebus in einen Konferenzbus umbauen und uns dann in Kiel auf den Weg machen und verschiedene Städte anfahren. In Hamburg, Wuppertal, wo wir bei der cowork 2023 der German Coworking Federation (GCF) Halt machen, Frankfurt, Schweiz, München, Nürnberg, Hannover, Leipzig, Rostock werden wir mit unserem rollenden Kreativzentrum ordentlich für Aufsehen sorgen. Vor Ort wollen wir mit Gesellschaft, Politik und Wirtschaft Themen wie Ernährung, Coworking, Social Entrepreneurship, Mobilität etc. sprechen und weitere Kreativzentren entdecken, vernetzen und unterstützen.

Wie wollen wir also in Zukunft leben, lernen und arbeiten?

Das ist eine sehr große Frage, die ich wahrscheinlich nicht so schnell beantworten kann. Aber eins weiß ich jetzt schon: Der Weg ist unfassbar schön! Ich durfte bis hierhin schon so viel lernen – mehr als in der Schule, in meiner Ausbildung und im Studium zusammen. Ich durfte mit Menschen sprechen, die ich mit Sicherheit nie kennengelernt hätte, wenn es diese Orte nicht geben würde.

Wenn ich meinen Opa früher fragte, was ich denn mal arbeiten oder werden solle, dann antwortete er Folgendes: Stelle dir so oft es geht vor, du sitzt an deinem Lieblingsort, die Terrasse deines Hauses oder unter einem Baum oder unter einer Palme im Urlaub und du bist 90 Jahre alt. Du schaust auf den Leben zurück und stellst Dir folgende Fragen:

  1. Was würde ich bereuen, nicht getan zu haben?
  2. Was habe ich für die nächste Generation getan?
  3. War ich die Person, die ich sein wollte?

Und dann komm wieder zurück aus deinen Gedanken, hör auf, Entschuldigen zu suchen, und fang an! Und das möchte ich euch allen mitgeben: Es ist so viel mehr möglich, als wir denken. Alleine ist alles schwieriger und auch wenn es nur ein kleiner Anfang ist, besucht einfach mal ein Kreativzentrum in eurer Nähe. Ihr werdet überrascht sein, welchen Menschen ihr begegnet und was aus Begegnungen entstehen kann.

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Heiko Kolz, 38 Jahre alt, gelernter Dachdecker und studierter Volkswirt. Und von Herzen Cowork-Experte und Entdecker neuer Arbeitswelten.

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